Jeder zweite 23-Jährige lebt noch bei den Eltern
Nesthocker sind laut einer aktuellen Studie vor allem Männer: Sie ziehen im Schnitt mit 23 Jahren aus dem "Hotel Mama" aus, Frauen zwei Jahre eher. Aber nicht jeder, der bei den Eltern lebe, sei auch abhängig, sagt Jugendforscherin Berngruber.

Wiesbaden, München (epd) Junge Männer verlassen ihr Elternhaus später als ihre Altersgenossinnen. Im Jahr 2014 lebte die Hälfte aller 23-jährigen Männer noch bei ihren Eltern, wie das Statistische Bundesamt in Wiesbaden am Dienstag mitteilte. Dagegen wohnte nur noch jede dritte ledige Frau daheim. "Ein Grund kann sein, dass Frauen auch andere Schritte im Lebenslauf früher machen: Partnerschaften eingehen oder mit dem Partner zusammenziehen", sagte die Jugendforscherin vom Deutschen Jugendinstitut in München, Anne Berngruber, dem Evangelischen Pressedienst (epd).

Auch im europäischen Vergleich lebten Männer länger als Frauen bei den Eltern. In Deutschland zögen Männer im Durchschnitt mit 23 Jahren, Frauen mit 21 Jahren zum ersten Mal aus. Manchmal hätten Töchter bei den Eltern weniger Freiheiten als Söhne, etwa wann sie abends nach Hause kommen. "Das kann die Motivation erhöhen, auszuziehen. Männern ist die finanzielle Selbstständigkeit viel wichtiger als die räumliche", sagte Berngruber.

Finanzielle Gründe

Die Jugendforscherin gibt aber zu bedenken: Der Auszug aus dem Elternhaus bedeute nicht auch in anderen Bereichen Selbstständigkeit, etwa wenn die Eltern die Miete zahlten oder die Steuererklärung übernähmen. Umgekehrt sei nicht jeder abhängig, der noch bei den Eltern lebe. "Junge Erwachsene bleiben vor allem aus finanziellen Gründen zu Hause wohnen", erklärte Berngruber. Ein befristeter Arbeitsvertrag könne zu einem längerem Verbleib oder einer Rückkehr ins Elternhaus führen.

"Außerdem ist der Grund, aus dem Elternhaus auszuziehen, stark bildungsabhängig: Diejenigen mit Abitur ziehen eher zum Studium von zu Hause aus", sagte die Forscherin und verwies auf ihre Auswertungen in der Studie des Deutschen Jugendinstituts "Aufwachsen in Deutschland: Alltagswelten" von 2015. In ihrer Untersuchung hat sie auch herausgefunden, dass Erwachsene mit Realschulabschluss eher nach der Berufsausbildung mit dem ersten Job eine eigene Wohnung suchen. Menschen mit einem Hauptschulabschluss zögen früher mit dem Freund oder der Freundin zusammen.

Zu Problemen mit den Eltern führe der späte Auszug nicht unbedingt: Die Beziehungen zwischen Eltern und Kindern seien generell so gut wie noch nie, sagte Berngruber. "Wenn das Zusammenleben auf Freiwilligkeit basiert, ist es nicht problematisch. Es ist ja positiv, wenn man sich gut versteht und noch zusammen wohnt." Habe ein Kind aber andere Vorstellungen vom Leben und sei aus finanziellen Gründen gezwungen, im Elternhaus zu bleiben, könne das zu Spannungen führen.

Längere Ausbildungszeiten

Die Zahlen des Statistischen Bundesamts sind Ergebnisse des Mikrozensus, der größten jährlichen Haushaltsbefragung in Deutschland. Im Alter von 30 Jahren lebten 2014 demnach noch zwölf Prozent der Männer und fünf Prozent der Frauen bei den Eltern. Mit 40 Jahren gehörten nach Angaben des Bundesamtes noch vier Prozent der Männer und ein Prozent der Frauen dem elterlichen Haushalt an.

Nach Angaben der Statistikbehörde bleiben Kinder heute länger im Elternhaus wohnen als noch vor rund 40 Jahren. Lebten 1972 rund 20 Prozent der 25-Jährigen in der früheren Bundesrepublik noch bei den Eltern, waren es 2014 fast doppelt so viele. Dies könne auf die früher noch kürzeren Ausbildungszeiten zurückzuführen sein. Seit Mitte der 90er Jahre sei der Anteil der 25-Jährigen, die noch im Elternhaus leben, deutschlandweit jedoch stabil.