Nach den Anschlägen in Brüssel hat die Suche nach Hintermännern und Hintergründen begonnen. Falls es islamistische Motive gibt, könnten sie sich einreihen in eine Serie von Fällen, in denen die belgische Hauptstadt als Herkunftsort oder Tatort von Extremisten im Fokus stand.
Am Dienstag war zunächst noch unklar, ob die Bombenattentate etwas mit dem radikalen Islamismus zu tun haben. Da Belgien aber immer wieder mit muslimischen Extremisten in die Schlagzeilen geraten ist, wurde die Möglichkeit breit diskutiert. Der Terrorismusforscher Guido Steinberg brachte die zahlreichen Fälle von Terroralarm in dem Land mit den "belgischen Rekruten" in Verbindung, die sich dem sogenannten Islamischen Staat (IS) in Syrien angeschlossen hätten. "Und dieser IS hat sich nun entschieden, in Europa zuzuschlagen. Und da er über so viele belgische und auch französische Rekruten verfügt, ist Brüssel neben Paris einer der Schwerpunkte dieser Attentatswelle in den letzten Monaten", sagte Steinberg dem Sender n-tv.
Tatsächlich haben sich nach Angaben der Sicherheitsbehörden in den vergangenen Jahren Hunderte oft junge Leute aus Belgien in das Kriegsgebiet im Nahen Osten aufgemacht. Besonders erschütterte das Land der Fall von Abdelhamid Abaaoud, einen mutmaßlichen Drahtzieher der Terroranschläge von Paris im November. Er kämpfte in Syrien auf seiten der Islamisten und machte durch ein grausames Propagandavideo von sich reden, in dem er ein Auto steuert, das verstümmelte Leichname hinter sich herzieht.
Immer wieder sorgten Extremisten auch in Brüssel selbst für Terroralarm und Polizeirazzien. Ein trauriger Höhepunkt war 2014 der Überfall auf das Jüdisches Museum. Ein Mann ermordete dort kaltblütig mit einem Gewehr vier Menschen. Als Verdächtiger wurde der Franko-Algerier Mehdi Nemmouche verhaftet. Er soll sich zuvor in Syrien aufgehalten und islamistischen Milizen angeschlossen zu haben. Im ostbelgischen Ort Verviers hoben Ermittler vor gut einem Jahr eine Terrorzelle aus und verhinderten damit laut Staatsanwaltschaft nur knapp neue Attentate.
Vor allem aber geriet immer wieder der Brüsseler Stadtteil Molenbeek, ein an vielen Stellen heruntergekommenes Viertel mit zahlreichen Menschen ausländischer Herkunft, ins Visier. Die lokalen Behörden mussten sich daher immer wieder kritischen Fragen stellen. In manchen Vierteln könnten "Menschen auf der Durchreise mit sehr schlechten Intentionen" eben leicht untertauchen, urteilte Bezirksbürgermeisterin Françoise Schepmans im November. "Der Mutterboden der Radikalisierung" sei dort "fruchtbarer", weil es während langer Jahre keine richtige Integrationspolitik gegeben habe, sagte sie laut belgischer Zeitung "La Libre". "Man hätte von Anfang an sehr viel strikter sein müssen, was die Rechte und Pflichten jedes einzelnen angeht im Hinblick auf die Teilnahme am täglichen Leben in der Gemeinde."
"Das salafistische Denken ist in der muslimischen Bevölkerung der belgischen Hauptstadt sehr tief verankert."
Aus Molenbeek stammte auch der berüchtigte Abaaoud. Er war nach seinen Taten in Syrien ein mutmaßlicher Drahtzieher der Anschläge von Paris im November mit 130 Toten und kam kurz darauf bei einem Polizeieinsatz in St. Denis bei Paris ums Leben. Erst vergangenen Freitag wurde in Molenbeek der seit den Anschlägen im November gesuchte Salah Abdeslam bei einer großangelegten Polizeiaktion gefasst. Er soll die Pariser Anschläge mit vorbereitet haben. Es gebe jedoch "keinen Grund zur Entwarnung", sagte der Londoner Terrorismus-Experte Peter Neumann kurz nach Abdeslams Verhaftung im deutschen Fernsehen und prophezeite: "Dadurch wird Belgien jetzt noch mehr zum Fokus des Islamischen Staates."
Der Islamologe Michael Privot hält den radikalen Islam in Brüssel für das Ergebnis einer längeren Entwicklung. "Das salafistische Denken ist in der muslimischen Bevölkerung der belgischen Hauptstadt sehr tief verankert", urteilte der Experte Ende vergangenen Jahres.
Die Täter vom Dienstag - ob Islamisten oder nicht - kalkulierten möglicherweise auch damit, dass Brüssel Hauptsitz der Europäischen Union ist. In der Stadt sind Hunderte Journalisten aus der ganzen Welt akkreditiert. Wer immer die Taten geplant hat, konnte sich in Brüssel maximaler Aufmerksamkeit gewiss sein.