"Die Tote im Palazzo", der Auftakt zur neuen Reihe, wirkt jedoch, als sei Regisseur Uwe Janson und seinem zuletzt bevorzugten Kameramann Marcus Stotz viel daran gelegen, bei aller inhaltlichen Passgenauigkeit wenigstens optisch aus dem Rahmen zu fallen. Die beiden haben unter anderem mit "Das Mädchen mit den Schwefelhölzern" das wohl kunstvollste der bisherigen ARD-Märchen geschaffen. Auch ihr erster "Urbino-Krimi" beeindruckt durch eine Bildgestaltung, der anzusehen ist, wie viel Sorgfalt unter anderem auf die Lichtsetzung verwendet wurde. Viele Einstellungen sind leicht verfremdet, immer wieder kurz eingestreute Rückblendenbilder lassen den Film temporeicher wirken, als er ist. Dass andererseits die Sonnenuntergänge über der malerischen mittelitalienischen Stadt besonders kitschig aussehen, wirkt fast wie ein ironisches Augenzwinkern.
Nicht minder sehenswert ist Leonardo Nigro als Roberto Rossi, Titelheld der Romane. Der hierzulande zwar regelmäßig im Fernsehen präsente, aber trotzdem kaum bekannte Schweizer ist ein interessanter Typ und als gebürtiger Italiener ohnehin eine glaubwürdigere Besetzung als manche seiner Mitstreiter. Katharina Wackernagel beispielsweise spielt, als habe sie sich zur Vorbereitung auf ihre Rolle als italienische Landadelige mit zwar gezügeltem, aber dennoch spürbaren Temperament alte Filme mit Gina Lollobrigida oder Claudia Cardinale gesehen; ihre gestenreiche Verkörperung der ewigen Medizinstudentin Malpomena del Vecchio ist gerade angesichts ihres sonst eher nüchternen Spiels zumindest ungewohnt. Dritter im Bunde ist Hannes Jaenicke: Der deutsche Kriminalhauptkommissar Gruber musste nach einer schweren Schussverletzung seinen Dienst quittieren und will jetzt in Italien das Dolce Vita genießen, mischt sich aber gern ein, wenn es gilt, einen Mordfall zu klären. Dass Rossis Sandkastenfreundin Malpomena von dem selbstbewussten Charme des Deutschen unübersehbar angetan ist, gefällt dem einheimischen Polizisten allerdings gar nicht, zumal er Gruber ohnehin nicht mag.
Mit moderaten Thriller-Elementen
Das Personal birgt also genug Potenzial für emotionale Konflikte ebenso wie für eine kernige Männerfreundschaft, aber auch die Geschichte hat ihren Reiz, zumal Janson sie mit moderaten Thriller-Elementen versieht: Im Gewölbe unter dem städtischen Palazzo mit seiner weltberühmten Renaissance-Sammlung entdeckt Rossi eine rituell aufgebahrte Leiche. Die junge Frau ist erst vergewaltigt und dann offenbar vergiftet worden. Weil sämtliche Kommissare an einem Virus erkrankt sind, muss Verkehrspolizist Rossi, unterstützt von der angehenden Rechtsmedizinerin Malpomena, die Ermittlungen übernehmen.
Da das Drehbuch mit teilweise parodistischer Freude alle möglichen Italienklischees berücksichtigt, spielt gerade angesichts des vermeintlichen Ritualmords natürlich auch der Aberglaube eine große Rolle; Janson nutzt die entsprechenden Szenen, um seinem Film einen gewissen Mystery-Touch zu geben. Dazu passt auch die Nebenfigur eines nicht näher eingeführten Streuners (Axel Neumann), der okkulte Mächte am Werk sieht; erst recht, als später die angeblich schwarze Messen feiernde Mutter des Opfers ebenfalls ermordet wird.
Tilmann P. Gangloff, Diplom-Journalist und regelmäßiges Mitglied der Jury für den Grimme-Preis, schreibt freiberuflich unter anderem für das Portal evangelisch.de täglich TV-Tipps und setzt sich auch für "epd medien" mit dem Fernsehen auseinander. Auszeichnung: 2023 Bert-Donnepp-Preis - Deutscher Preis für Medienpublizistik (des Vereins der Freunde des Adolf-Grimme-Preises).
Das Autorentrio Swidler, Janson und Andreas Knaup sorgt ohnehin dafür, dass sich die Zutaten die Waage halten. Die Geschichte hätte das Zeug zum Thriller, und Janson inszeniert den Film gerade dank der Bildgestaltung auch immer wieder entsprechend. Dank des Personals ist "Die Tote im Palazzo" aber auch Komödie. Der leicht xenophobe Rossi zum Beispiel überzieht Gruber zunächst mit Strafzetteln, bevor er schockiert feststellen muss, dass der Deutsche kein Tourist, sondern ein Kollege und zu allem Überfluss sein neuer Nachbar ist. Tatsächlich eine Witzfigur ist Rossis Chef, den Tonio Arango in der für ihn typischen leicht überzogenen Art verkörpert: Die Stärken des leicht geckenhaften Nevio Cottelli, der seine Besucher auf einem Stuhl von Kindergartengröße platziert und eine leidenschaftliche Liaison mit seiner Assistentin (Patrizia Carlucci) hat, liegen eindeutig nicht in der Kriminalistik. Zur heiteren Seite gehört natürlich auch die ungeklärte Beziehung zwischen Roberto und Malpomena, die sich gern darüber echauffiert, dass der Polizist sie nur mit seiner für eine Baronesse selbstredend unangemessenen Vespa durch Urbino kutschiert. Auch sonst sorgen Intermezzi immer wieder für heitere Momente; so steckt Rossi zum Beispiel sein Haupt gern in ein öffentliches Goldfischbecken, um einen klaren Kopf zu kriegen.
Gelegentliche Zwischenschnitte auf die örtlichen Sehenswürdigkeiten wirken zwar etwas unmotiviert und sehen so aus, als sei Janson eingefallen, dass er noch ein bisschen Augenfutter einstreuen muss, aber dafür sind einige Kamerafahrten über die Dächer der Stadt umso schwungvoller; die reizvolle Bildgestaltung verleiht Urbino ohnehin eine ganz spezielle Atmosphäre. Unterm Strich also ein gelungener Start, der Lust auf mehr macht, zumal die Geschichte voller Überraschungen steckt; dazu gehört auch, dass ein Teil der Auflösung gleich zu Beginn verraten wird. Die regelmäßig eingestreuten Italianismen ("Buon Giorno") sind allerdings ähnlich überflüssig wie in den Donna-Leon-Verfilmungen aus Venedig.