Gauck wirbt in Bautzen für demokratische Streitkultur

Bundespräsident Gauck sieht in der Flüchtlingsdebatte keine Alternative zum Dialog. Das macht er am Freitag in Bautzen deutlich. Vor drei Wochen hatten dort Bürger den Brand eines Flüchtlingsheims bejubelt. Auch am Freitag gab es einzelne Pöbeleien.

Bautzen (epd) Fünf Stunden hatte Bundespräsident Joachim Gauck für seinen Besuch in Bautzen eingeplant. Die deutsch-sorbische Stadt in der Lausitz war durch einen am 20. Februar verübten Brandanschlag auf eine geplante Flüchtlingsunterkunft bundesweit in die Schlagzeilen geraten. Im Mittelpunkt seiner Visite stand eine Bürgerdiskussion, bei der Gauck am Freitag für einen offenen Diskurs warb, aber auch auf die Grenzen der Meinungsäußerung hinwies.

Wiederholt betonte der Bundespräsident die Unentbehrlichkeit politischer Auseinandersetzung für die Demokratie. Diese Möglichkeiten müssten aber auch offensiv genutzt werden, anstatt verständliche Ängste zu kultivieren. Gauck rief die Bürger auf, "Komfortzonen zu verlassen" und einander zu begegnen. Das sei allerdings anstrengender, als im Internet Drohungen und Beleidigungen zu veröffentlichen. Die notwendige Auseinandersetzung finde ihre Grenze bei Hetze oder gar Brandstiftung.

Gauck gegen mehr plebiszitäre Elemente

Auch der Bundespräsident musste allerdings eine "Störung in der Kommunikation zwischen Wählern und Gewählten" einräumen. Dieses besonders im Osten Deutschlands verbreitete Bürgerverhalten führt er sowohl auf DDR-Prägungen der "Angst und Ohnmacht gegenüber denen da oben", als auch auf Verletzungen und Existenzprobleme nach 1990 zurück. Viele seien immer noch "fremd gegenüber den eigenen Möglichkeiten". Diese Generation schwinde aber.

Gauck sprach sich in diesem Zusammenhang für die repräsentative Demokratie und gegen mehr plebiszitäre Elemente aus. Sie sei die beste Form, weil sie unter anderem ausgewogenere und kompetentere Entscheidungen ermögliche. Auch politische Parteien verdienten mehr Respekt. "Ohne Parteien würden wir gehässiger miteinander umgehen", sagte Gauck. Auf sein Verhältnis zu Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) angesprochen, stellte sich der Bundespräsident hinter ihre umstrittenen Ermutigungen, das Flüchtlingsproblem zu meistern.

In der teilweise kontroversen Diskussion überwog die Skepsis, ob es sich überhaupt um ein krisenhaftes Problem handele. Mehrfach tauchten Begriff wie "Phantomschmerz" und "gefühlte Unzufriedenheit" auf. Weitgehende Einigkeit bestand darüber, dass direkte Kontakte zu Flüchtlingen Vorurteile und Ängste abbauen könne.

Pöbeleien gegen Gauck

Im vierköpfigen Podium beklagte insbesondere die Politikchefin des MDR-Landesfunkhauses Sachsen, Uta Deckow, verbreitete Unkenntnis gegenüber journalistischen Regeln und redaktionellen Abläufen. Andere stellten ähnliche Defizite hinsichtlich demokratischer Grundkenntnisse fest und forderten verstärkte politische Bildung. Joachim Gauck ermahnte Medienmacher allerdings auch zur Selbstkritik, um "Lügenpresse"-Vorwürfen zu entgehen.

Die etwa 100 teilnehmenden Bürger waren vom Bundespräsidialamt bestimmt und von der Stadt Bautzen eingeladen worden, um eine möglichst repräsentative Mischung zu erzielen. Eine erhebliche Zahl nahm allerdings die Einladung nicht an. Das zweistündige Gespräch verlief auf hohem Niveau. Zuvor hatte sich der Bundespräsident mit vier sächsischen Bürgermeistern getroffen. Im Anschluss an die Diskussion gab er einen Empfang für engagierte Bürger im Ehrenamt.

Die Polizei berichtete im Anschluss von einzelnen Störungen, als der Bundespräsident am Nachmittag vom Sorbischen National-Ensemble zurück zum Rathaus ging. Aus einer Ansammlung von etwa 30 Passanten seien von einzelnen Personen verunglimpfende Äußerungen gegen Gauck gerufen worden. Die Kriminalpolizei nahm Ermittlungen auf und prüfe die strafrechtliche Relevanz, hieß es.