Bauschild vor der Friedrichswerderschen Kirche in Berlin am 08.03.2016. Vor der Kirche in Berlins Mitte stapeln sich meterhoch Baucontainer, fast fertige Neubauten dängen sich dicht an das Gotteshaus.
Foto: epd-bild/Rolf Zöllner
Vor der Friedrichswerderschen Kirche in Berlins stapeln sich meterhoch Baucontainer, fast fertige Neubauten drängen sich dicht an das Gotteshaus.
Zerstörung mit Ansage
Die Friedrichswerdersche Kirche in Berlin ist das einzige öffentliche Gebäude des Architekten Karl Friedrich Schinkel (1781-1841), das innen wie außen weitgehend originalgetreu erhalten ist. Doch jetzt droht die neugotische Kirche kaputtzugehen - wegen benachbarter Baustellen.

Vor der Friedrichswerderschen Kirche in Berlins Mitte stapeln sich meterhoch Baucontainer. Linkerhand drängen sich fast fertige Neubauten dicht an das Gotteshaus. Pfarrer Stephan Frielinghaus von der Friedrichstadtgemeinde, zu der die Kirche gehört, ärgert sich über den unschönen Anblick. Dagegen tun kann er nichts: "Wir haben keinen Einfluss, der Bürgersteig gehört der öffentlichen Hand." Der Pfarrer befürchtet, dass beim Abbau der Container die Fassade oder der Bronzeengel über dem Portal Schaden nehmen könnten: "Hier geht es nur um Zentimeter!"

Die Friedrichswerdersche Kirche kommt nicht zur Ruhe. Der 1824 bis 1831 von Karl Friedrich Schinkel errichtete Bau ist ein Juwel der Backsteingotik. Er revolutionierte die Kirchenbaukunst im 19. Jahrhundert und ist der einzige Schinkelbau mit fast original erhaltenem Innenraum. Den Zweiten Weltkrieg hatte die Kirche - anders als andere Schinkelbauten - weitgehend unbeschadet überstanden, auch den Erneuerungswahn danach. Abgerissen wurde hingegen die benachbarte Bauakademie, sie musste dem DDR-Außenministerium weichen.

Jetzt droht die Kirche ein Opfer des aktuellen Neubauwahns in der Mitte Berlins zu werden. Der vom Senat verabschiedete Bebauungsplan gibt vor, die historische Stadt zu rekonstruieren, indem er Filetgrundstücke auf alten Parzellen an meistbietende Investoren vergibt. Die Neubauten sind jedoch nicht nur ungleich massiver als das, was vor 1945 dort stand. Sie gehen zudem 20 Meter in die Tiefe. Auf dem wankenden Berliner Baugrund ist das ein Risiko, bekannt auch schon von weiteren Baustellen, etwa der James-Simon-Galerie vor dem Neuen Museum oder der Staatsoper.

"Die Kirche ist weich geworden"

Bei der Friedrichswerderschen Kirche hatten Gemeinde und Denkmalpfleger im Jahr 2012 Alarm geschlagen. Ausschachtungsarbeiten für die in nur fünf Meter Abstand entstehenden Neubauten im Westen hatten die Kirche ins Rutschen gebracht, ein raumhoher Riss ging durch die Apsis, Putzflächen waren abgeplatzt, Steine aus dem Gewölbe gefallen.

Das Fundament wurde aufwendig durch Betoninjektionen stabilisiert, für die Neubauten ein schonendes Gründungsverfahren gewählt. Die Kosten in Millionenhöhe trägt der Investor - das regelt seither ein Nachbarschaftsvertrag. Der zeigte sich konziliant, um weitere Verzögerungen zu vermeiden. Henning Hausmann, Sprecher der Bauwert-Investmentgruppe, sagt: "Die Kirche ist durch uns komplett instandgesetzt worden, wenn Sie dort reingehen, werden Sie sehen, sie ist schöner als vorher."



Das klingt wie ein Hohn: die Risse sind zwar äußerlich wegretuschiert, doch sie haben das Bauwerk dauerhaft geschädigt: "Die Kirche ist kein starres Gebilde mehr, sondern ein weich gewordenes", charakterisiert Matthias Hoffmann-Tauschwitz, Leiter des Kirchlichen Bauamts der evangelischen Landeskirche, den statischen Zustand.

Und schon traten im Januar, nach Beginn der Ausschachtungsarbeiten für ein weiteres Luxus-Projekt am Schinkelplatz im Osten, neue Risse im Gewölbe auf. Auch hier sollen zweigeschossige Tiefgaragen entstehen. Jörg Antoine, Konsistorialpräsident der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz, ist fassungslos: "Wir halten das für unmöglich, einen Bau in einer solchen Dimension zuzulassen, wenn auf der anderen Seite schon fundamentale Schäden an der Kirche eingetreten sind." Doch der Bebauungsplan lässt genau das zu.

Sie wird vermutlich nicht einstürzen

So handelte die Kirche auch mit dem neuen Bauherrn Frankonia einen Nachbarschaftsvertrag aus. Der ruht seit Wochen unterschriftsreif beim Investor. Aus Sicht der Landeskirche seien alle Fragen geklärt, sagt Antoine: "Warum die Frankonia jetzt das, was wir vereinbart haben, nicht unterschreibt, das verstehen wir nicht." Auf Anfrage teilt eine Sprecherin mit, man werde sich zu gegebener Zeit an die Öffentlichkeit wenden.

Unterdessen graben sich die Bagger östlich der Friedrichswerderschen Kirche weiter in den unsicheren Berliner Baugrund. Eine Anfrage im Abgeordnetenhaus im Januar ließ Bausenator Andreas Geisel (SPD) durch seinen Staatssekretär beantworten: Man rechne mit weiteren Schäden an dem Baudenkmal. Matthias Hoffmann-Tauschwitz vom Kirchlichen Bauamt bestätigt: "Die Gutachter haben berechnet, es könnte zum Herausfallen von Putzstellen und einzelnen Steinen kommen."

Das ist Zerstörung mit Ansage, auch wenn die Friedrichswerdersche Kirche vermutlich nicht einstürzen wird. "Kritische Rekonstruktion" heißt das Leitbild für die Mitte Berlins, das vorgibt, die alte Stadt wieder zum Leben zu erwecken. Dabei wird das einzig Historische an diesem Ort, die Schinkelkirche, zum Dauerpflegefall.