Lehmann und sein Team aus bis zu fünf Forschern erstellen seit Ende 2012 eine Datenbank, für die sie alle verfügbaren Informationen über Hexenprozesse und deren Opfer im Territorium des ehemaligen Heiligen Römischen Reichs sammeln. Auf lokaler und regionaler Ebene sei das Thema bereits nahezu flächendeckend erforscht, erläutert der Historiker. Aber eine umfassende Übersicht fehle bislang.
"Die Zauberinnen sollst du nicht leben lassen"
Der Blick aufs Ganze bringt neue Erkenntnisse. Die Forschung schätzt die Zahl der als Hexen oder Zauberer in Deutschland Hingerichteten auf 15.000 bis 20.000. Lehmann glaubt, es seien deutlich mehr gewesen. Eine genaue Zahl kann er noch nicht nennen, da die Auswertung der Quellen noch nicht abgeschlossen ist. Er nennt aber eine Reihe von Orten, in denen so viele Menschen starben, dass es kaum noch Arbeitskräfte gab. "Die Verfolgungswellen gingen oft bis zur physischen Erschöpfung", sagt er. Im Örtchen Longuich bei Trier etwa hätten 60 von 300 Einwohnern das Schafott oder den Scheiterhaufen besteigen müssen.
Lehmann hat auch neue Erkenntnisse über Unterschiede der Hexenverfolgungen in katholischen und protestantischen Gebieten. Wo die Bevölkerung der römischen Konfession anhing, waren 30 bis 40 Prozent der Toten männlich. Dagegen traf es bei den Protestanten zu 85 Prozent Frauen. Über die Gründe hierfür ist er sich noch nicht ganz klar. Es könne unter anderem daran liegen, dass Martin Luther die Bibel übersetzt hat mit den Worten "Die Zauberinnen sollst du nicht leben lassen", sagt er. In der katholischen Vulgata-Ausgabe dagegen heiße es dagegen "Zauberer".
Außerdem ist Lehmann durch seine Arbeit von der Auffassung abgekommen, die Jagd auf Hexen habe in Südwestdeutschland begonnen und sich in Richtung Nordwesten ausgebreitet. "In den 1580er und 1590er Jahren tritt das vielerorts gleichzeitig auf", berichtet er.
Zu ernst, um an Fasching als Hexe herumzulaufen
"Man kann deutlich sehen, dass der Wille zu Hexenprozessen häufig aus der Bevölkerung kam", sagt Lehmann. Missernten, Seuchen oder die religiöse Verunsicherung durch Reformation und Gegenreformation hätten den Menschen der Frühen Neuzeit so zugesetzt, dass sich dieser Druck in Verfolgungswellen entlud. Man könne aus den Quellen auch erkennen, dass Menschen mitunter durch eine Hexereianzeige unliebsame Verwandte oder gar ihre Ehefrau loswerden wollten.
Die Datenbank umfasst derzeit mehr als 6.000 Orte und ist nach heutigen Bundesländern und Landkreisen gegliedert. Lehmann und sein Team nutzen die bestehenden Studien, lesen sich durch Prozessakten in Archiven, wälzen Kirchenbücher. Sie erfassen, was sie herausfinden können: Alter, Geschlecht und Konfession der Opfer, Ablauf der Prozesse und der Hinrichtungen. Mitte 2018 wird die Arbeit fertig sein, dann soll eine Wanderausstellung die Ergebnisse zusammenfassen.
Bislang hat überwiegend der Zweckverband Kultur des Landkreises die Forschungen finanziert. Der Museumsdirektor hofft auf Förderung des Bundes und hat dafür Kontakt mit dem Bundestagsabgeordneten Mark Hauptmann (CDU) aufgenommen. Dessen Mitarbeiterin Anett Miehe kann derzeit noch keine konkreten Angaben machen, wie hoch eine Förderung sein könnte und welche Fördertöpfe dafür in Frage kämen.
Lehmann will einen Bewusstseinswandel. Er wünscht sich, dass die Menschen von ihrer Spaßkultur bei diesem Thema abkommen. Es sei zu ernst, um an Fasching als Hexe herumzulaufen oder in der Walpurgisnacht auf dem Brocken um ein Feuer zu tanzen. "Mein Hauptziel ist, dass die Touristiker im Harz sauer auf mich sind" sagt er und lacht dabei.
Dann wird er wieder ernst. Niemand solle denken, dass die Mechanismen der Hexenverfolgungen heute nicht mehr wirksam seien. Da müsse man gar nicht erst nach Afrika oder in den Pazifikraum blicken, wo teilweise heute noch Menschen als Hexen umgebracht werden. "Wir verbrennen heute nicht mehr", sagt er. "Wir zerstören den Leumund oder die wirtschaftliche Grundlage."