SOS-Kinderdorf: Asylpaket gefährdet Kindeswohl
Der Bundestag berät heute erstmals über das zweite Asylpaket. Der Verein SOS-Kinderdorf appelliert an den Bundestag, den Familiennachzug für minderjährige Flüchtlinge weiter zu erlauben.
19.02.2016
epd
Corinna Buschow (epd-Gespräch)

Berlin (epd)Das Grundgesetz benenne den Schutz der Familie, die UN-Kinderrechtskonvention den Vorrang des Kindeswohls, sagte Geschäftsführerin Birgit Lambertz dem Evangelischen Pressedienst (epd). Die aktuellen Gesetzespläne gefährdeten sowohl die Einheit der Familie als auch das Kindeswohl. "Es sollte eine Selbstverständlichkeit sein, diese Grundsätze im Gesetz zu berücksichtigen", sagte Lambertz.

Der Bundestag berät an diesem Freitag erstmals über das zweite Asylpaket, das Schnellverfahren für Flüchtlinge mit geringer Bleibeperspektive, niedrigere Hürden bei der Abschiebung Kranker und die Aussetzung des Familiennachzugs subsidiär Schutzberechtigter vorsieht. Es wird damit gerechnet, dass auch syrische Bürgerkriegsflüchtlinge in diese Kategorie des untergeordneten Schutzes fallen.

"Eine hochgradig belastende Situation"

Lambertz zufolge haben die SOS-Kinderdörfer im vergangenen Jahr mehr als 400 unbegleitete minderjährige Flüchtlinge aufgenommen. "Die Kinder und Jugendlichen stehen unter einem hohen Druck", berichtete die Vereins-Geschäftsführerin. Sie hätten Schuldgefühle, weil sie in Sicherheit sind, und gleichzeitig große Sorgen um die Familie, die zurückgeblieben ist. "Sie spüren Verantwortung etwa für Geschwister", sagt Lambertz. Wenn sie dann das Gefühl bekämen, die Gesellschaft helfe ihnen nicht dabei, "suchen sie sich manchmal auch falsche Orientierung, um vermeintliche Hilfe zu finden", erklärte die promovierte Psychologin.

Dazu gehöre etwa der Wunsch, schnell Geld zu verdienen, um die Familie zu unterstützen. Das Risiko durch Gefährdungen wie Extremismus, Diebstahl und Drogen sei höher. "Für junge Menschen ist das eine hochgradig belastende Situation", sagte Lambertz.

Gefühl der Zugehörigkeit wichtig

Der Verein mit Sitz in München fürchtet zudem, dass das Gesetz vielen derzeit noch Minderjährigen ganz die Chance auf ein Nachholen der Eltern nimmt. Ein großer Teil von ihnen seien Jugendliche. Die Aussetzung des Familiennachzugs für zwei Jahre sowie die ohnehin langen Verfahren würden in vielen Fällen dazu führen, dass Betroffene dann selbst volljährig sind und keine Möglichkeit mehr für den Familiennachzug haben, erklärte Lambertz.

Unabhängig davon, ob die jungen Menschen in Deutschland bleiben oder später in ihre Heimat zurückgehen, bräuchten sie jetzt das Gefühl der Zugehörigkeit und Wertevermittlung, die am einfachsten in der Familie gelinge, sagte Lambertz: "In dem Alter braucht man eine klare Orientierung." Diese Phase lasse man ungenutzt verstreichen, wenn man nur die Versorgungssituation sichere. "Die Jugendlichen werden dadurch dauerhaft beeinträchtigt, ihr Leben gut in den Griff zu bekommen", sagte sie.