Die "2" im Titel signalisiert eine Fortsetzung, aber das ist glatt gelogen: Der zweite Film erzählt die Geschichte des ersten einfach noch mal. Einziger wesentlicher Unterschied ist der Schauplatz: Teil eins spielte in Marburg, den zweiten Teil siedelt das Drehbuch in Wien an. Ansonsten aber sind die Handlungsparallelen derart frappierend, dass die Produktion eigentlich "Hebamme Reloaded" heißen müsste: Erneut treibt ein maskierter Unhold sein Unwesen. Seine Opfer sind ausschließlich sogenannte Lustdamen, und auch diesmal stammt der Mörder aus dem direkten Umfeld der Titelheldin.
Tilmann P. Gangloff, Diplom-Journalist und regelmäßiges Mitglied der Jury für den Grimme-Preis, schreibt freiberuflich unter anderem für das Portal evangelisch.de täglich TV-Tipps und setzt sich auch für "epd medien" mit dem Fernsehen auseinander. Auszeichnung: 2023 Bert-Donnepp-Preis - Deutscher Preis für Medienpublizistik (des Vereins der Freunde des Adolf-Grimme-Preises).
Hatte sich die junge Gesa (Josefine Preuß) im ersten Film (2014) noch zur Hebamme ausbilden lassen, so strebt sie diesmal nach Höherem: Als sie ihre an der Schwindsucht erkrankte Cousine Luise (Genija Rykova) nach Wien begleitet, damit sich die Frau dort von ihrem bekannten Vater behandeln lassen kann, ist sie umgehend fasziniert von den Heilkünsten des bekannten Medicus (Bernhard Schir). Sie bittet ihn, bei ihm studieren zu dürfen, was er brüsk ablehnt; die Handlung trägt sich zu Beginn des 19. Jahrhunderts zu, Frauen waren in der Medizin nicht vorgesehen. Als der Arzt bei einem Notfall Gesas großes Talent erkennt, gewährt er ihr immer den Status einer Gasthörerin.
Auch wenn das Verhältnis von Talent und Eifer bei einigen Darstellern etwas unausgewogen ist und der freizügige Vorspann mit seinen nackten Tatsachen völlig falsche Erwartungen weckt: Das aufwändige und ohne Werbung fast zwei Stunden lange Sittengemälde hat viele Schauwerte zu bieten und ist durchaus fesselnd, erst recht, als in der zweiten Hälfte die Suche nach dem Serienmörder mehr und mehr in den Vordergrund rückt. Blutig allerdings sind viele Bilder auch schon vorher. Wer nur ungern in klaffende Filmwunden schaut, sollte das Werk meiden. Dank einiger Anleihen beim Horrorfilm ist "Die Hebamme 2" teilweise ohnehin recht spannend, erst recht in den dramatischen Szenen, wenn es um Leben und Tod geht.
Wie schon in Teil eins, so treffen Regisseur Hannu Salonen und Autor Thorsten Wettcke, dessen Drehbuch (an dem diesmal Silja Clemens mitwirkte) allenfalls noch auf Motiven des gleichnamigen Romans von Kerstin Cantz beruht, die frauenfeindliche Atmosphäre jener Jahre sehr gut. Die Morde zum Beispiel werden von den Autoritäten mehr oder weniger achselzuckend zur Kenntnis genommen, schließlich handele es sich nur um Prostituierte. Reizvoll ist auch die Figur des Medicus, selbst wenn Bernhard Schir die Rolle nicht ganz so facettenreich anlegt wie Axel Milberg sein Pendant im ersten Teil; die Szenen, in denen der Arzt die aus heutiger Sicht prähistorisch anmutenden Errungenschaften der "modernen Medizin" vorführt und anpreist, erzeugen ein wohliges Gruseln. Eher obskur sind dagegen die Methoden eines weiteren Professors (Marcus Mittermeier), der auf "animalischen Magnetismus" schwört und lieber mit Steinen als mit dem Skalpell arbeitet; der alternative Heiler, bei dem sich erstaunliche Erfolge mit krachenden Niederlagen abwechseln, ist eine verblüffend aktuelle Figur. Ansonsten mag die Geschichte nicht sonderlich raffiniert sein, aber als Porträt einer Heldin, die ihrer Zeit weit voraus ist und sich in einer frauenfeindlichen Männerwelt durchsetzen will, ist auch der zweite Aufguss durchaus sehenswert.