Weimar (epd)Johannes Daniel Falk (1768-1826) kümmerte sich aufopfernd um verwahrloste Kinder und schuf eine Sozialpädagogik auf christlicher Grundlage. Im "Lutherhof" verwirklichte er seine Erziehungsideale und tat sich als aktiver Bürger hervor - in einer Zeit, in der der Sozialstaat noch nicht erfunden war. Vor 190 Jahren, am 14. Februar 1826, starb er in Weimar.
Mit seinem pädagogischen Ansatz ist Falk seiner Zeit weit voraus. Im Gegensatz zu anderen Verwahranstalten verzichtet der Schriftsteller bei Fehlverhalten seiner Zöglinge auf drakonische Strafen. Die Waisen betreut er "ohne Kette, ohne Zwang, ohne Schläge bei völlig unverschlossenen Türen und Toren. Sie können alle davonlaufen, aber es läuft keiner davon." Zeitgenosse Johann Wolfgang von Goethe (1749-1832) nannte ihn einen "Pädagogen verwilderter Kinder".
Andere Erzieher greifen Falks Ideen auf und entwickeln sie weiter. Karl Reinthaler gründet 1820 das Martinsstift in Erfurt. Ab 1822 entsteht die Kinderrettungsanstalt Beuggen bei Basel. 1833 ist es Johann Hinrich Wichern, der mit dem Hamburger Rauhen Haus eine bis heute bestehende Bildungseinrichtung ins Leben ruft. Falk sei dessen Vorbild und Ideengeber gewesen, erläutert Paul Andreas Freyer, Vorsitzender des Weimarer Falk-Vereins. Er preist Falks Pädagogik: "Individueller und moderner kann Jugendsozialarbeit nicht sein. Persönlich und maßgeschneidert."
Studium dank eines Stipendium des Danziger Rates
Falk wird am 28. Oktober 1768 in Danzig als Sohn eines Perückenmachers geboren. Er darf die Schule zunächst nur vier Jahre lang besuchen, denn sein Vater braucht ihn in der Werkstatt. Doch der wissbegierige Junge kehrt auf die Schulbank zurück, macht Abitur und erhält nach guten Noten ein Stipendium des Danziger Rates.
Zunächst Student der Theologie an der Universität Halle, wendet sich Falk rasch der Literatur und Altertumswissenschaft zu. Und publiziert erste satirische Texte. Der Erfolg beim Publikum ermutigt ihn, von der Schriftstellerei zu leben. 1797 heiratet er Caroline Rosenfeld und zieht nach Weimar. Das Paar bekommt zehn Kinder, doch nur zwei Töchter überleben.
1806, als im Krieg gegen die Franzosen plündernde Truppen das Herzogtum Weimar-Sachsen-Eisenach überrennen, schlägt Falks große Stunde. Er verhindert in perfektem Französisch, dass die Stadt gebrandschatzt wird. Im Gegenzug verschafft der mutige Unterhändler den Soldaten alles, was sie brauchen, samt Verbandszeug und Futter für die Pferde. Herzog Carl August ernennt ihn zum Dank zum Legationsrat und gewährt ihm eine jährliche Besoldung von 200 Talern.
Nur zwei von zehn Kindern überleben
Doch es folgen schwere Schicksalsschläge: Vier seiner Kinder sterben an Typhus. Anfang 1813 wendet sich der Literat abrupt von der Schriftstellerei ab. An Nervenfieber erkrankt, ringt Falk mit dem Tod. Er sei auf dem Krankenlager "vom Satiriker zum Christen" geworden, der tätige Werke der Barmherzigkeit vollbringen wolle, bekennt er später: "Als ich wieder zur Besinnung kam, sagte ich zu mir selbst: Gott schenkt dir das Leben, weil er weiß, dass du ein Herz voll Mitempfindung und Liebe hast. Das sollst du nun den Kindern zuwenden, die jetzt ihre Eltern verloren haben und Waisen geworden sind."
Im Mai 1813 gründet Falk mit dem Stiftsprediger und Inspektor des Lehrerseminars, Karl Friedrich Horn, die "Gesellschaft der Freunde in der Not" - eine frühe Bürgerinitiative. Der Verein will den zahlreichen Waisenindern helfen, bietet Schulbesuch und vermittelt Lehrstellen.
Falk nimmt mehr als 30 Kinder unter seine Fittiche, obwohl er kaum alle hungrigen Münder stopfen kann. Der geerbte Schmuck seiner Frau liegt längst im Pfandhaus, Falk macht Schulden. Er wisse oft nicht, schreibt Falk, "wie ich einen Korb Holz bezahlen soll."
In seiner Wohnung befindet sich die Lehranstalt, in der alle schulpflichtigen Kinder Elementarunterricht erhalten. Das zweite "Institut" ist die Sonntagsschule für die Lehrlinge mit Unterricht in Religion, Lesen, Schreiben, Rechnen, Singen und Zeichnen. "Wenn man so will, eine Art Berufsschule", sagt Paul Andreas Freyer vom Falk-Verein. Schließlich gibt es noch eine Spinnanstalt mit Näh- und Strickschule für die Mädchen.
Verfallene Grafenburg wird zum "Lutherhof"
Doch Falks Vermieter in der Weimarer Esplanade stören die vielen Kinder. Falk sucht ein eigenes Haus und stößt auf eine heruntergekommene Weimarer Grafenburg. Gemeinsam mit seinen Zöglingen errichtet er daraus den "Lutherhof". Daraus geht nach seinem Tod das "Falksche Institut" hervor, das in einem Neubau noch bis 1929 besteht.
In seinem Streben, kranken und elternlosen Kindern eine Bleibe, Bindung und Ausbildung zu verschaffen, weist der Pädagoge den Weg für die Entstehung vieler karitativer Einrichtungen. Für "seine" Kinder schreibt Falk christliche Texte, Gebete und Lieder mit dem Ziel, Glauben, Vertrauen und Mut zum Leben mitzugeben. Dazu gehört auch das populäre Weihnachtslied "Oh du fröhliche", ursprünglich auch ein Pfingst- und Osterlied.
"Falks Bedeutung für die Sozialpädagogik und die Diakonie ist hochaktuell", sagt Lars Eisert-Bagemihl, Geschäftsführer des Diakonischen Bildungsinstituts Johannes Falk in Eisenach, "nicht demütiges Almosen-Nehmen, sondern die selbstständige und selbstverantwortliche Lebensführung war sein Ziel". Die "Hilfe zur Selbsthilfe" sei bis heute Grundprogramm aller diakonischen Arbeit.
"Es ist die größte Wohltat, die man einem Kind erweisen kann, dass man es dazu anhält, etwas Nützliches zu lernen", schrieb Falk einst. Am 14. Februar 1826 starb er an Blutvergiftung im Alter von nur 58 Jahren.