Aus der Psychiatrie live auf Sendung
Fernseher, Computer, Handy sind auf den Zimmern der Sozialtherapie im Pfalzinstitut tabu. Deshalb steht das Radio bei den Jugendlichen hoch im Kurs - das Hören und auch das Radiomachen: Ihr "Peilsender" sendet auf UKW 87,9 live aus der Klinik.

Klingenmünster (epd)Die Zeit drängt, die Köpfe rauchen. Es gibt noch viel zu tun: Technik checken, letzte Details besprechen. Wer moderiert was, welche Musiktitel werden wann gespielt? Der Countdown läuft. Schnell noch eine Pizza essen. Dann geht der "Peilsender" auf Sendung. Live und pünktlich um 19.30 Uhr, wie jeden Dienstagabend.

"Hallo und guten Abend", grüßt Steven die Zuhörer. So routiniert, als hätte er nie etwas anderes getan. Dabei ist er, wie seine fünf Kollegen auch, kein professioneller Moderator, sondern ein junger Patient der Sozialtherapie des Pfalzinstituts in Klingenmünster. Zusammen mit Mitarbeitern der psychiatrischen Einrichtung bilden sie den harten Kern des Peilsender-Teams und haben etwas Außerordentliches auf die Beine gestellt: einen Radiosender von Patienten für Patienten, mit eigener Frequenz und nicht kommerziell.

Alle sind musikbegeistert

"Damit ist er einzigartig in Rheinland-Pfalz", sagt Rudi Pericki, Stationsmitarbeiter im pädagogisch-pflegerischen Dienst. Pericki ist es auch, der die Initialzündung zum Projekt gab. "Auf der sozialtherapeutischen Station gelten strikte Regeln", erklärt er. Die Patienten dürften auf ihrem Zimmer weder einen Fernseher noch einen Computer haben und auch kein Handy nutzen. Deshalb stehe das Radio bei ihnen hoch im Kurs. Musikbegeistert seien sie alle. "Also hab ich mir gedacht, warum nicht einfach selbst Radio machen."

Da keiner Erfahrung mitbrachte, hieß die Devise Experimentieren und "learning by doing", als der "Peilsender" 2012 startete: mit Musik, Berichten aus dem Klinikalltag, von Ausflügen und dem Ausbau des eigenen Studios.

Drei Jahre wurden die Sendungen zwar unter Livebedingungen produziert, aber mangels Sendemöglichkeit auf CDs gebrannt und im Klinikum verteilt. Dann war es so weit. "Nach der Genehmigung unseres Radios durch die Landeszentrale für Medien und Kommunikation hat uns die Bundesnetzagentur eine eigene Frequenz zugewiesen", erzählt Pericki.

Radiomachen hat therapeutischen Effekt

Am 29. April 2015 ging der "Peilsender" erstmals on air und läuft seither rund um die Uhr. UKW 87,9 MHz ist die Welle des Klinikums. Empfangbar ist sie im Umkreis von etwa acht Kilometern. Live gesendet wird allerdings nur am Dienstagabend eine Stunde lang, sagt Pericki: "Donnerstags wird die Sendung wiederholt und wie alle anderen aufgezeichneten Wort- und Musikbeiträge per Computer gesteuert."

Gemeinsam mit den Musiktherapeutinnen Saskia Schmitt und Lara Lüdtke leitet er das Projekt. Die eigentlichen Radiomacher sind die Patienten: Steven ist an diesem Abend Moderator und führt durch den Jahresrückblick. Ramón macht den DJ, die anderen fungieren mal am Mischpult, mal am Mikrofon. Alle haben im Laufe der Zeit enorme Fortschritte gemacht. "Am Anfang haben wir uns oft verhaspelt und ewig lange Sätze gemacht, bis wir auf den Punkt gekommen sind", sagt Steven. Jetzt seien sie viel sicherer geworden, auch im Umgang mit der Technik.

Patienten und Mitarbeiter zusammen hinter dem Mikrofon, das ist nicht nur ein Novum im Klinikalltag, es hat auch einen therapeutischen Effekt. "Die Jugendlichen lernen dabei, angemessen und nach demokratischen Regeln miteinander umzugehen. Sie müssen sich absprechen, sich aufeinander verlassen können und Verantwortung übernehmen", sagt Lara Lüdtke. Das stärke ihre Teamfähigkeit und soziale Kompetenz und komme auch der Allgemeinbildung und dem Ausdrucksvermögen zugute.

Außerdem biete das Radio die Möglichkeit, sich kritisch mit Musik auseinandersetzen. Denn viele der jungen Patienten favorisierten den typischen Gangsta Rap mit sexistischen und gewaltverherrlichenden Texten, sagt Saskia Schmitt. "Dem unreflektierten Musikkonsum möchten wir entgegensteuern und den Jugendlichen andere Inhalte vermitteln."

Begrenzter Bewegungsradius

Ideen für das Programm gibt es reichlich, vom Quiz über Interviews und Reportagen bis hin zu Sport- und Kulturmagazinen oder Gesprächen mit Studiogästen. Selbst Politik sei inzwischen ein Thema. "Wir planen demnächst eine Sendung über Syrien", sagt Pericki. Er freut sich über die gute Resonanz. Zumal der "Peilsender" auch Signalwirkung nach außen hat: "Er macht das Thema Psychiatrie transparenter."

Bei allen Vorteilen, Probleme bleiben nicht aus. "Die Patienten der forensischen Station haben einen begrenzten Bewegungsradius. Manchmal dürfen sie aufgrund ihres Verhaltens die Station nicht verlassen. Passiert das kurz vor unserer Livesendung, fehlt uns ein Moderator. Dann wird es eng und wir müssen improvisieren", sagt Pericki.

Dennoch ist er überzeugt, dass der Peilsender auf dem richtigen Weg ist: Erst vor kurzem erhielt das Radio bei der Verleihung des Pflege- und Erziehungspreises den ersten Preis - eine Auszeichnung für besondere pädagogisch-pflegerische Projekte in der Kinder- und Jugendpsychiatrie.