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Hans-Jochen Vogel (SPD).
«Macht muss dienen»
Der SPD-Politiker Hans-Jochen Vogel wird 90 Jahre alt
Über Jahrzehnte hat Hans-Jochen Vogel die deutsche Politik geprägt. Dabei blieb er immer ein «Mann der Exekutive» und ein «altmodischer Politiker», dem Glaubwürdigkeit, Anstand und Bescheidenheit wichtig sind.

München (epd)Er sei in einem Alter, "in dem es hohe Zeit wird, Rechenschaft abzulegen", schreibt Hans-Jochen Vogel in dem Buch "Es gilt das gesprochene Wort". Mit dieser Auswahl von Reden und Aufsätzen, die zu seinem 90. Geburtstag an diesem Mittwoch erschienen ist, zieht der SPD-Politiker ein Resümee seines langen politischen Wegs, auf dem es Erfolge und Niederlagen gab.

Größere Verantwortung

Aus der ersten Reihe der Politik, dem Ringen um kleine Kompromisse im politischen Alltag, hat sich Vogel längst zurückgezogen. Seine Abschiedsrede im Bundestag hielt er 1994. Rechtsextremistische Gewalttaten stellten "die Fundamente unseres friedlichen Zusammenlebens infrage", mahnte er damals. Gefragt bleibt der Rat von "Doktor Vogel" auch nach seinem Abschied, etwa als es wegen der Agenda 2010 nach Verwerfungen in der SPD zu vorgezogenen Neuwahlen kam.

Auch zur Flüchtlingspolitik könnte Vogel Ratschläge geben. Denn am Asylkompromiss von 1993, der unter dem Eindruck stark gestiegener Asylbewerberzahlen vereinbart wurde, aber in der SPD heftig umstritten war, hatte er maßgeblichen Anteil. Die aktuelle Herausforderung sei jedoch wesentlich größer, weil die europäische Einheit auf dem Spiel stehe, sagt er. Von 2001 bis 2005 gehört er dem Nationalen Ethikrat an. Auf Vogels Initiative geht auch die überparteiliche Vereinigung "Gegen Vergessen - Für Demokratie" zurück, die sich gegen den neu aufkommenden Rechtsextremismus engagiert.

Geboren ist Vogel am 3. Februar 1926 in Göttingen. Nach Krieg und Gefangenschaft studierte er Rechtswissenschaften in Marburg und München. Im Studium habe er gelernt, "zwischen Ermittlung des Sachverhalts und Beurteilung des Sachverhalts" zu unterscheiden, bekannte er einmal. Eine Unterscheidung, die für sein politisches Urteilsvermögen und sein Rechtsbewusstsein prägend blieb.

Beeindruckt von Nachkriegspolitikern wie dem Sozialdemokraten Kurt Schumacher, der sich dem NS-Regime widersetzt hatte, schloss er sich 1950 der SPD an - sein jüngerer Bruder Bernhard entschied sich für die CDU. Mit 34 Jahren wurde er in München Oberbürgermeister. Er trug maßgeblich dazu bei, die Olympischen Spiele 1972 nach München zu holen. Nach massiven Konflikten mit den Parteilinken schied der populäre Oberbürgermeister aus der Kommunalpolitik aus. In Bonn wurde er in der SPD/FDP-Koalition zunächst Bauminister, unter Helmut Schmidt übernahm er 1974 das Justizministerium. In den Jahren des Terrors der Rote Armee Fraktion (RAF) sei ihm Vogel eine wichtige Stütze gewesen, bescheinigte Schmidt.

Es folgte 1981 ein kurzes Zwischenspiel als Regierender Bürgermeister in Berlin. Nach dem Bruch der sozialliberalen Koalition trat Vogel für die SPD bei den vorgezogenen Neuwahlen gegen Amtsinhaber Helmut Kohl (CDU) als Kanzlerkandidat an und unterlag. "Mein Freund Jochen Vogel wäre ein exzellenter Kanzler geworden", notiert der SPD-Weggefährte Erhard Eppler in seinen Erinnerungen "Links Leben".

Ausgeprägter Gerechtigkeitssinn

Nach der Niederlage, immerhin kam die SPD auf respektable 38,2 Prozent, wird Vogel Vorsitzender der Bundestagsfraktion und Oppositionsführer. Mit strengem Führungsstil, der ihm den Titel "Oberlehrer eintrug, und "Sekundärtugenden" wie Disziplin, Fleiß und Pünktlichkeit, die in der mehr der Lust als der Last des Politikbetriebs zugeneigten "Enkel"-Riege wenig geschätzt waren, stimmte er die Genossen auf die Oppositionsrolle ein. Als Willy Brandt 1987 als SPD-Vorsitzender abtrat, und die Brandt-Enkel sich versagten, übernahm Vogel seine Nachfolge.

Erstmals in der Parteigeschichte stand damit ein bekennender Katholik an der SPD-Spitze. Dass nur das Papstamt schöner sei als das eines SPD-Chefs, wie einer seiner vielen Nachfolger meinte, hätte er so nicht formuliert, sagt Vogel, auf dessen Betreiben sich das Verhältnis zur katholischen Kirche spürbar verbesserte. Mit manch katholischen Positionen, etwa dem Umgang mit wiederverheiratet Geschiedenen, hadert er als Betroffener. Das Ehepaar Vogel tauschte vor zehn Jahren seine Münchner Stadtwohnung gegen ein Appartement im Altenstift. Man müsse die Weichen für das Alter stellen, solange man dazu in der Lage sei, begründen sie diesen Schritt.

Ausgeprägter Gerechtigkeitssinn und das Bemühen, den Sorgen und Nöten der Menschen nahe zu bleiben, sind Grundmotiv von Vogels politischem Handeln. Für sein "letztes Buch" schrieb das Geleitwort Helmut Schmidt, der im November gestorben ist. Darin heißt es: In allen seinen Ämtern habe Vogel stets nach der Devise gehandelt "Macht muss dienen".