"Wo bist du, Gott", fragt Marco Michalzik, Slammer aus Darmstadt, mit der Inbrunst eines evangelikalen Predigers, als er von Landminen und Flüchtlingen erzählt. Frauke Hayungs erzählt den Klassiker-Witz von dem armen Menschen, der wegen zu häufigen Fluchens vom Blitz erschlagen wird – leider trifft es den Falschen, der Nebenmann hat geflucht, und die tiefe Stimme von oben brummt "Verdammt, daneben".
"Verdammt", im Folgenden von Dietrich Hoof-Greve das "V-Wort" genannt, ist das Leitthema für den ersten "Preacher Slam" in der Martinikirche in Siegen. Neun Teilnehmer geben sich – Achtung Wortspiel – verdammt viel Mühe, um sich an dem verdammten Thema abzuarbeiten, das in der Bibel geradezu ein Leitthema ist, das von Düsternis und Hoffnungslosigkeit geradezu tropft. Prediger vergangener Jahrhunderte hätten in ihren Kanzelreden womöglich Qualen der vielfältigsten Art für den Fall von Regelübertretung oder Unbotmäßigkeit beschworen. Im ersten Siegener Preacher Slam in theologisch tiefgründiger Umgebung fehlte es nicht an humoristischen Tönen, man nähert sich den Höllenqualen auf spielerische Weise. Und man spricht übrigens nicht von der Kanzel, und homiletisch schon mal gar nicht.Beim Preacher Slam geben sich zur Hälfte Prediger die Ehre, und zur anderen Hälfte Slammer wie Sascha Kirchhoff, Tristan Kunkel und Marco Müller, die man ansonsten beim Poetry Slam antrifft. Oder beim Fastenbrechen an der Siegener Uni, wie die von Studierendenpfarrer Hoof-Greve für den Slam angeworbene Hadjar Mohajerzad, die als praktizierende Muslimin aus der Truppe der Teilnehmer hervorsticht. Oder der Darmstädter Marco Michalzik, einer der Wortkünstler, die inzwischen in ganz Deutschland gefragt sind, und der im Hauptberuf bei der überkonfessionellen Jugendinitiative "Nightlight" als Jugendreferent arbeitet.
Die Pfarrerin aus Vorhalle kann nicht mehr mithalten
Auf der "Preacher"-Seite sind Rebecca Schmidt, Pfarrerin im Kirchenkreis Siegen, oder Sebastian Rink, frisch bestellter Pfarrer an einer Freien Evangelischen Gemeinde in Siegen, und Tom Herter, ebenfalls im Siegerländer Gemeinschafts-Spektrum verhaftet, ehemals Studierender in Ewersbach und inzwischen damit beauftragt, eine Gemeinde in Osnabrück aufzubauen. Und die Pfarrerin Frauke Hayungs, beruflich in Hagen-Vorhalle aktiv, einer Stadt, die nicht mit der Vorhölle verwechselt werden soll, wie Hagen-Kenner Dietrich Hoof-Greve spitz anmerkt.
Der Preacher Slam in der Siegener Martinikirche ist ein Experiment mit der Schönheit der Worte, ein Experiment, das nach festen Regeln ablaufen soll. Einige ausgewählte Experten aus dem Publikum erhalten Benotungstafeln, mit denen sie den jeweiligen Beitrag bewerten. Die Eins steht für "besser nicht geschrieben", die Zehn beschreibt einen Begeisterungszustand des Publikums, der nahe an der Raserei liegt. Das alles in maximal sechs Minuten langen Beiträgen, die bei Zeitüberschreitung mit zunehmend nervigem Gepiepe zwangsbeendet werden.
Die Gesamtpunkte der Jury werden – auch hier ist alles Zahl, Maß und Gewicht – mit der Dezibelzahl des per Handy-App gemessenen Applauses zusammengezählt. Das Ergebnis ist, dass der Akku des Handys zum Schluss, verdammt, schwächelt. Und dass ein Pfiff am Ende des Applauses nochmals für zwei Dezibel gut ist. Apple lügt nicht, sagt Studierendenpfarrer Dietrich Hoof-Greve.
Dennoch findet sich ein würdiges Finale, denn neben Frauke Hayungs zieht auch der vollbärtige Marco Michalzik ins Finale ein, der als einziger der Teilnehmer frei spricht, nicht stockt und zagt und eine Gesamtinszenierung auf das Parkett legt, die das Publikum hinreißt. Da kann auch die Pfarrerin aus Vorhalle nicht mehr mithalten: Die über hundert Gäste in der Martinikirche applaudieren ein bisschen, eindeutig, klar, für den Darmstädter Slammer. Moderator und Studentenpfarrer Dietrich Hoof-Greve scheitert mit einem Unentschieden-Vorschlag: Das Publikum will Sieger sehen.
Und wo Gott geblieben ist, in den Preacher Slam-Beiträgen? Es ist vielleicht wie in den Predigten der Landeskirche und denen der Gemeinschaften, ebenso in denen der römischen Konkurrenz: Wichtig ist nur, was hängen bleibt. "Und dass", wie es Studierendenpfarrer Hoof-Greve ganz zu Anfang formulierte, "ihr heute ablachen könnt und richtig was mitnehmt".