Berlin (epd)"Wir lieben das Wasser, es härtet uns ab. Es bringt unsern Kreislauf mächtig auf Trab", singen die Kinder in der Kneipp-Kita Berlin-Spandau. Und so sieht ihr morgendliches Ritual beim Morgenkreis aus: Alle Knirpse ziehen sich aus dem Eimer einen mit kaltem Wasser durchgetränkten Waschlappen und üben sich in Gesichtswaschung. Derweil sind die fünfjährigen "Pinguine" in ihre Bademäntel geschlüpft und gehen in das Saunafass im Hof, um eine Runde zu schwitzen. Nach zehn Minuten kühlen sie sich ab, an der frischen Luft, mit einem kalten Guss und Mineralwasser, dann geht es ab in den Ruheraum, wo Matratzen und warme Decken zum Einkuscheln hergerichtet sind.
Immaterielles Kulturerbe
Der bayerische Pfarrer Sebastian Kneipp (1821-1897) würde sich wohl freuen, wie die Kita sein Konzept in den Alltag integriert. Er hat Ende des 19. Jahrhunderts von Bad Wörishofen aus eine einzigartige Gesundheitsbewegung in Deutschland in Gang gesetzt. Sie fußt auf den fünf Elementen Wasser, Bewegung, Heilpflanzen, Ernährung und ausgeglichene Lebensführung. Heute "kneippen" Menschen weltweit. Im vergangenen Dezember wurde das Kneippen immaterielles Kulturerbe der Unesco.
"Die Kinder lernen spielerisch, was sie gesund hält, wie sie auf ihren Körper hören und ihr Wohlbefinden erhalten können", erklärt Brigitte Ruff, Leiterin der Kita, die vom Kneipp-Verein Berlin getragen wird. "Sie erleben das Element Wasser oder natürliche Reize neu, beispielsweise durch Wassertreten, Arm- oder Fußbäder oder wenn sie barfuß über Tau oder im Schnee stapfen." Wichtig seien ausreichend Bewegung an der frischen Luft sowie ausgewogene Ernährung. Deshalb lernen schon Dreijährige, wie Orangensaft gepresst oder ein Smoothie aus selbst geernteten oder auf Wanderung gesammelten Kräutern zubereitet wird.
Das über allem stehenden Prinzip der Kneipp-Lehre ist jedoch die Lebensordnung: Kneipp ging davon aus, dass das innere Gleichgewicht die Voraussetzung ist, die Gesundheit zu erhalten oder wieder zu erlangen. "Darum legen wir viel Wert auf ein entspanntes Miteinander und gegenseitigen Respekt, auf Eigen- und Fremdwahrnehmung und soziale Verantwortung", erklärt Brigitte Ruff. Uneingeschränkt gilt: "Kein Kind wird hier zu einer Kneipp-Anwendung gezwungen".
Die Kita trägt das Gütesiegel "Vom Kneipp-Bund e.V. anerkannte Einrichtung". Die Zertifizierung durch den Dachverband orientiert sich an hohen Standards: In einer Einrichtung muss mindestens die Hälfte des Teams die Ausbildung "Kneipp Gesundheit für Kinder" absolviert haben und einmal jährlich an Weiterbildungen teilnehmen. Regelmäßig wird überprüft, ob die Kneipp-Prinzipien umgesetzt werden. Mittlerweile gibt es in Deutschland 387 solcher Kitas. In Schulen wird das Kneippen erst langsam populärer, bundesweit gibt es derzeit 27 Kneipp-Schulen.
Positive Erfahrungswerte
Schwer nachzuweisen ist, ob Kinder in Kneipp-Kitas tatsächlich gesünder sind und bleiben. "Bedauerlicherweise steht eine wissenschaftliche Studie zum Nachweis der gesundheitsförderlichen Wirksamkeit von Kneipp-Verfahren in Kitas noch aus, obwohl das Konzept für mich insgesamt sehr überzeugend ist", sagt Benno Brinkhaus, der an der Berliner Charité eine Stiftungsprofessur für Naturheilverfahren bekleidet. "Aber es gibt hinreichend positive Erfahrungswerte, dass Kinder, die nach Kneipp leben können, weniger krank oder zumindest schneller wieder gesund sind."
Die Umgebung "Kita" sei ideal, um Kindern zu vermitteln, wie sie positiv Einfluss auf ihr Wohlbefinden nehmen könnten, sagt Brinkhaus: "Kinder verinnerlichen mittels der Kneipp-Elemente sehr früh eine gesunde Lebensführung."
Sehr verbreitet sind Kneipp-Kitas nicht: In Berlin-Brandenburg sind beispielsweise nur 51 von insgesamt 4.100 Kitas offizielle Kneipp-Einrichtungen. "Viele unserer Eltern nehmen längere Anfahrt in Kauf, um ihre Kinder herzubringen", sagt Brigitte Ruff und freut sich über die Bindungskraft ihrer Kita: "Etliche Kinder kommen uns noch als Schulkinder besuchen." Bestimmt vergessen sie niemals die sechs Strophen ihres Kitaliedes: "Wir trotzen jedem Wetter, das macht uns nichts aus. Mit richtiger Kleidung geh'n wir täglich raus." Wenn die Kneipp-Bildung nachhaltig war, summen sie es noch als Rentner.