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Josef Schuster.
«Wir haben die Spätaussiedler als Chance begriffen»
Drei Fragen an: Zentralratschef Schuster zu russlanddeutschen Anti-Flüchtlings-Demos
Nach Berichten über eine angebliche Vergewaltigung einer 13-jährigen Russlanddeutschen demonstrierten in mehreren Städten Spätaussiedler und Russischstämmige. Drei Fragen an den Präsidenten des Zentralrates der Juden in Deutschland, Josef Schuster.
28.01.2016
epd
Daniel Staffen-Quandt (epd-Gespräch)

Würzburg (epd)In mehreren deutschen Städten haben am Wochenende Spätaussiedler und Russischstämmige demonstriert - Anlass waren Berichte und Gerüchte über eine angebliche Vergewaltigung einer 13-jährigen Russlanddeutschen in Berlin. Bei den Kundgebungen wurde auch Stimmung gegen Flüchtlinge gemacht. Laut Berliner Polizei gab es "weder eine Entführung noch eine Vergewaltigung". Russische Medien berichteten dennoch ausführlich, auch der russische Außenminister Sergej Lawrow schaltete sich ein. Dazu drei Fragen an den Präsidenten des Zentralrates der Juden in Deutschland, Josef Schuster:

epd: Herr Schuster, die Integration jüdischer Spätaussiedler aus der Sowjetunion hat besser geklappt als die nichtjüdischer Spätaussiedler. Was haben die jüdischen Gemeinden anders gemacht?

Schuster: Es gibt da zwei große Unterschiede. Zum einen waren sich die jüdischen Zuwanderer ihrer Religionszugehörigkeit bewusst und haben Anschluss an die jüdischen Gemeinden in ihrer Region gesucht - ohne, dass sie sehr viel vom Judentum und der jüdischen Glaubenspraxis wussten. Zum anderen haben vor allem die kleineren jüdischen Gemeinden die Zuwanderung als Chance begriffen, um den sinkenden Mitgliederzahlen entgegenwirken zu können. Sie haben den Neuankömmlingen nicht nur das religiöse Rüstzeug mit auf den Weg gegeben, sondern ihnen auch bei der Integration in die Gesellschaft insgesamt geholfen.

epd: In den vergangenen Tagen haben Russlanddeutsche gegen Flüchtlinge demonstriert, angestachelt von russischen Medien. Wieso erreicht diese Propaganda offenbar nur nicht-jüdische Spätaussiedler?

Schuster: Die jüdischen Kontingentflüchtlinge kamen nach Deutschland, weil das Leben als Jude in den ehemaligen Sowjetstaaten nicht gerade einfach war. In Russland und vielen anderen Ländern der früheren Sowjetunion gibt es einen weit verbreiteten und tief verwurzelten Antisemitismus, der sich gerade nach dem Fall des Eisernen Vorhangs und dem Ende der kommunistischen Diktatur wieder seine Bahn brach. Die Erinnerung vieler jüdischer Zuwanderer an ihre ehemalige Heimat ist also nicht immer die beste - und daher stehen sie Einflussversuchen aus Russland sicher deutlich skeptischer gegenüber als andere.

epd: Für Außenstehende ist das ein seltsames Bild: Spätaussiedler demonstrieren gegen Geflüchtete, bekommen dafür Zuspruch aus der rechten Ecke. Bildet sich da eine neue "unheilige Allianz"?

Schuster: Ob sich gleich eine Allianz bildet, das weiß ich nicht. Aber ich beobachte mit Sorge, dass die rechten politischen Kräfte in unserem Land auf alles aufspringen, was mit dem Thema Flüchtlinge zu tun hat, und es für ihre Zwecke missbrauchen.