Eine freie unzensierte Presse gibt es in Vietnam nicht. Die Kommunistische Volkspartei und staatliche Behörden sind Herausgeber aller offiziellen Medien in dem 86-Millionen-Einwohner-Land. Wenn überhaupt, so kann man seine Meinung höchstens im Internet veröffentlichen. Doch Internetaktivisten unterliegen in Vietnam einem strengen System der Vorzensur durch das Propagandaministerium. Journalisten und Blogger können aufgrund schwammiger Paragrafen wie des Strafgesetzbuchartikels 258 gegen den "Missbrauch demokratischer Freiheiten" inhaftiert werden.
"Die vietnamesische Regierung und die Polizei haben viele Methoden verwendet, um Meinungsfreiheit zu bekämpfen. Neulich hat ein Polizeigeneral berichtet, dass sein Ministerium allein im letzten Jahr über 300 Webseiten bekämpft", berichtete der vietnamesische Oppositionelle und Blogger Bui Thanh Hieu bei einer Diskussion in Berlin. Das katholische Hilfswerk missio und Reporter ohne Grenzen hatten zu der Veranstaltung eingeladen und zu öffentlichem Protest aufgerufen.Seit 2013 lebt Bui Thanh Hieu als PEN-Stipendiat in Deutschland. In seiner Heimat hatte er Protestaktionen zur Freilassung von Demonstranten organisiert, Familien politisch Verfolgter betreut und Rechtsanwälte vermittelt. Vor allem aber schrieb er seine Meinung in einem eigenen Internet-Blog.
Die staatliche Zensur ist mächtig. Vietnamesische Internetcafés etwa sind zur Installation einer Kontrollsoftware verpflichtet. Blogger müssen ihre Einträge vor der Veröffentlichung autorisieren lassen und persönliche Daten preisgeben. Bui Thanh Hieu wurde mehrfach inhaftiert. Er weist darauf hin, dass sich die Strategie der vietnamesischen Behörden mittlerweile geändert habe: Blogger würden seltener als in den vergangenen Jahren inhaftiert, weil das weltweit für mehr Aufsehen sorge. Dafür würden sie jetzt von Unbekannten auf offener Straße verprügelt und so eingeschüchtert. Die vietnamesische Regierung und Polizei könne dann immer sagen, dass sie damit nichts zu tun hätten und sich nur der Volkszorn entlade.
Katholischer Priester als "Galionsfigur": Nguyen Van Ly
In Vietnam gibt es nur wenige Freiräume für Opposition. Es sind es vor allem die Kirchen, die freien Denkern und Bloggern einen gewissen Schutz bieten. In dem kommunistischen Land leben rund sechs Millionen Katholiken und 800.000 Protestanten, das Christentum ist die zweitgrößte Religionsgruppe nach dem Buddhismus. In den Kirchen ist ein freier Meinungsaustausch möglich, auch wenn sie von den staatlichen "Büros für religiöse Angelegenheiten" streng kontrolliert werden. Das Religionsgesetz verpflichtet etwa dazu, Behörden die Kirchenprogramme vorzulegen. Darin müssen alle Termine, Orte, Namen von Leitern und die erwartete Anzahl von Besuchern gemeldet werden. Doch davon lassen sich die Pfarrer aber nicht abschrecken, viele Kirchenleute sind sogar selbst als Medienschaffende aktiv.
"Die Vietnamesen kommen nur zu den Kirchen oder zu den Priestern, bei denen sie wissen, dass es gute Leute sind, dass diese Geistlichen sich für Menschenrechte und Zivilgesellschaft engagieren. Es gibt auch kirchliche Webseiten, sie sich für Demokratie einsetzen", berichtet Bui Thanh Hieu. In kaum einem anderen Land finden sich so viele christliche Blogger, die mit dem Staat in Konflikt geraten. "Es sind weitestgehend katholische Blogger, die sich auch mit religiösen Themen in einer Intensität beschäftigen, wie das in normalen Medien nicht möglich wäre", ergänzt Christian Mihr von Reporter ohne Grenzen.
Stellvertretend für viele steht der Nguyen Van Ly, der sich seit den 1970er Jahren für Religions- und Meinungsfreiheit in Vietnam engagiert. Immer wieder schrieb der katholische Priester über die Einschränkung bürgerlicher Freiheiten und forderte eine Stärkung der Demokratie. Nguyen Van Ly gehört zu den Gründern der Demokratie-Bewegung Bloc 8406 und hat die Untergrundzeitung Tu Do Ngon Luan ("Meinungsfreiheit") mitveröffentlicht. Nach mehreren früheren Haftstrafen wurde er 2007 für "Propaganda gegen die Regierung" zu acht Jahren Haft verurteilt. Nach drei Schlaganfällen im Gefängnis und der Diagnose eines Hirntumors wurde der Vollzug seiner Strafe im März 2010 aus humanitären Gründen ausgesetzt. Doch seit Juli 2011 ist Ly erneut inhaftiert.
Nun hat das katholische Hilfswerk missio zusammen mit Reporter ohne Grenzen eine Unterschriftenaktion gestartet, um sich für seine Freilassung einzusetzen. Die Unterschriften werden im September 2016 an die Bundesregierung übergeben. Auch die Unterstützung einer Online-Petition ist möglich. "Wir wollen, dass sich die deutsche Außenpolitik für die Freilassung von Gefangenen Bloggern einsetzt. Nguyen Van Ly steht im Mittelpunkt. Er ist eine Galionsfigur", sagt missio-Präsident Klaus Krämer und ergänzt: "Ich habe selber die christliche und auch katholische community in Vietnam als eine sehr lebendige community erlebt, die sehr selbstbewusst auftritt, anders als etwa in China." Im Moment sitzen in Vietnam mindestens 14 Blogger in Haft, es ist neben China das Land mit den meisten inhaftierten Bürgerjournalisten.
Aber es gibt kleine Hoffnungszeichen. In diesem Jahr noch soll ein neues Religionsgesetz den Kirchen mehr Freiheiten und Rechtssicherheit gewähren. Blogger Bui Thanh Hieu hofft, dass es durch mehr Religionsfreiheit auch zu mehr Meinungsfreiheit in Vietnam kommen könnte, mit Unterstützung eben auch aus Deutschland. Und Vietnam entwickelt sich immer mehr zum beliebten Reiseland. Pauschaltouristen könnten durchaus auch mal die eine oder andere Kirche besuchen und sich bei Politikern am Ort erkundigen, wie es denn um die Menschenrechte, die Meinungs- und Religionsfreiheit bestellt ist. Den religiösen Bloggern in Vietnam würde das wohl helfen.
Nguyen Van Ly wurde im Mai 2016 vorzeitig aus der Haft entlassen.