Indira Gandhi ist zum Symbol eines Kulturkampfes geworden, der in Malaysia mit immer härteren Bandagen geführt wird. Als hätten es ihre indischstämmigen Eltern schon bei ihrer Geburt geahnt, gaben sie der Tochter den Namen der mutigen, kämpferischen und entschlossenen ehemaligen indischen Premierministerin.
Indira Gandhis Ehemann war vor einigen Jahren zum Islam übergetreten, hatte sich von der Gattin scheiden lassen und die drei Kinder ohne Wissen und Einverständnis der hinduistischen Ex mit in den Islam genommen. Seitdem kämpft die Kindergärtnerin aus Ipoh mit allen Mitteln um ihre Kinder und deren Religion und findet sich damit unversehens im Zentrum der malaysischen Innenpolitik wieder.
Die juristische Schlacht hat Indira Ghandi vorerst verloren. Mit der Mehrheit von zwei der drei Richter entschied ein Berufungsgericht in Ipoh vor kurzem: weltliche Gerichte seien für den Fall Indira Gandhi nicht zuständig. Weil es um eine islamische Angelegenheit geht, könne einzig und allein ein islamisches Schariagericht angerufen werden.
Das Urteil wird von Indira Gandhi, ihren Anwälten und den Minderheitsreligionen Malaysias als blanker Hohn empfunden. Schariagerichte sind in Malaysia laut Gesetz und Verfassung nur für Muslime zuständig. In Fällen von Streitigkeiten zwischen Muslimen und Nicht-Muslimen können letztere weder als Kläger und noch als Zeugen vor einem Schariagericht erscheinen.
Mit anderen Worten: Indira Gandhi wurde an ein Gericht verwiesen, vor dem sie keine Rechte hat. "Diese Empfehlung ist nicht nur ein Verstoß gegen die Verfassung, sondern stellt den Versuch dar, die Gesetze einer Religion den anderen aufzuzwingen", sagt Jit Heng, Präsident des "Malaysischen Konsultativrats der Buddhisten, Christen, Hindus, Sikhs und Taoisten" (CBCHST).
Der Islam als Instrument zum Machterhalt
Der Fall der Indira Gandhi ist nur nachvollziehbar, wenn man den Versuch wagt, die komplexen Hinter- und Abgründe, Irrungen und Wirrungen malaysischen Politik zu ergründen. Als koloniales Erbe ist Malaysia ein multikultureller und multireligiöser Staat. Auf der malaiischen Halbinsel stellen die ethnischen Malaien rund 60 Prozent der Bevölkerung. Die anderen 40 Prozent sind die Nachfahren von Chinesen und Indern, die vor Generationen von den britischen Kolonialherren ins Land geholt wurden. Während die Malaien religiös eine Einheit sind – sie gehören laut Verfassung dem Islam an – sind die malaysischen Chinesen Buddhisten und Taoisten, die Inder Muslime und Hindus. Das Christentum ist in beiden Volksgruppen zu finden.
Ein anderes Bild bieten die beiden malaysischen Borneostaaten Sabah und Sarawak. Ethnisch sind dort die Ureinwohner die größte Gruppe, die wiederum mehrheitlich Christen sind.
Die ethnische und religiöse Vielfalt Malaysias spiegelt sich in der Politik wieder. Statt nach Ideologien ist die Parteienlandschaft nach Ethnien und Religionen sortiert. Die größte aller Parteien ist die nationalistisch-islamische United Malays National Organization (Umno). Die Partei der muslimischen Malaien ist der alles dominierende Machtfaktor.
Die Umno regiert seit der Unabhängigkeit Malaysias zusammen mit einer Reihe kleiner chinesischer und indischer Parteien in der Koalition Barisan Nasional (BN). Die kleinen Partner sind jedoch politisch weitgehend einflusslos und werden mit Pfründen für ihr Personal ruhig gestellt.
Das alte Rezept aber funktioniert seit einigen Jahren nicht mehr. Die Umno und ihre Vasallen in der Regierungskoalition BN stecken bis Unterkante Oberlippe im Sumpf von Korruption und Vetternwirtschaft. Ohne ihr maßgeschneidertes Wahlrecht wären die BN und die Umno längst am Ende.
Ein wesentliches Instrument zum Machterhalt ist für die Umno deshalb der Islam geworden. "Die malaysische Regierung und ihre Behörden versuchen an einigen Fronten, Malaysia zu einem islamischeren Staat zu machen", sagt Bolly Lapok, anglikanischer Bischof von Kuching in Sarawak und Primas der Anglikanischen Kirche Südostasiens. Mit Geld und Predigern aus Saudi-Arabien treibt die Umno die Transformation der malaysischen Muslime von einem moderaten, toleranten zu einem konservativen Islam nach dem Muster der Wahhabiten in Saudi-Arabien voran. Gleichzeitig werden in Hetzkampagnen Minderheitsreligionen als akute Bedrohung und die Umno als Verteidiger und Retter des Islam porträtiert.
Christen wurde der Gebrauch des Wortes Allah verboten, hinduistische Tempel unter fadenscheinigen Vorwänden abgerissen, der gesellschaftliche Druck auf malaiische Frauen zum Tragen islamischer Kleidung wird immer stärker, mit Verve wird der Ausbau eines islamischen Finanzwesens vorangetrieben. Anfang dieses Jahres hob mit viel politischem und religiösem Getöse die "schariagerechte" Fluggesellschaft Rayani Air ab. Neuester islamischer Streich: Supermärkte müssen getrennte Einkaufswagen für Halal-Waren und solche, die nicht den islamischen Vorschriften für Lebensmittel entsprechen, einführen.
Christliche Subversion?
Bedrohlicher noch für religiöse Minderheiten ist das Ziel der malaysischen Machthaber, weltliches und islamisches Recht zu harmonisieren. Der Generalstaatsanwalt arbeitet zusammen mit islamischen Behörden und Organisation an der Islamisierung von elf Rechtsbereichen, darunter das Strafrecht, Vertragsrecht und Landrecht.
In dieser Gemengelage kommen auch die Konversionen der Kinder von zum Islam übergetretenen Elternteilen ins Spiel. Ist ein Elternteil zum Islam übergetreten, greift – nach malaysisch-islamischer Rechtsauffassung – in familienrechtlichen Dingen automatisch das Schariarecht. So war es eben nach Ansicht des Berufungsgerichtes unerheblich, dass Indira Gandhi und ihr Ex-Mann Hindus waren, die Ehe nach hinduistischen Riten geschlossen wurde und die Kinder als Hindus aufwuchsen.
Gleichzeitig aber wird die Umno nicht müde, ihrer muslimischen Anhängerschaft mit der Warnung vor angeblichen Massenkonvertierungen nichtsahnender Muslime zum Christentum in Angst und Schrecken zu versetzen. Die Christen, so die Propaganda, gingen dabei höchst heimtückisch vor, zum Beispiel durch als Fußballtrainer getarnte Untergrundpriester. Malaysias Generalstaatsanwalt raunt gerne von "Beweisen" für die angebliche christliche Subversion, ohne diese aber jemals vorgelegt zu haben.
Konkreter sind hingegen die Hinweise auf den umgekehrten Fall: die Zwangskonvertierung von Christen zum Islam. "Es gibt eine Menge von Belegen von islamischen Missionsaktivitäten im Land, die mit allerlei Anreizen vor allem die Ureinwohner von Sabah und Sarawak im Visier haben", weiß Hermen Shastri, Generalsekretär des Dachverbands der protestantischen Kirchen Malaysias (CCM). Zu den "Anreizen" gehören laut malaysischen Medien das Versprechen von Geld sowie staatlicher Investitionen in Schulen und Gesundheitseinrichtungen für die unterentwickelten Dörfer in den Wäldern Borneos.
Indira Gandhis letzter juristischer Strohhalm ist der Gang vor ein Bundesgericht. Sollte sie aber auch dort scheitern, wäre das fatal für die Minderheitsreligionen. Bischof Lapok, amtierender Vorsitzender des CCM, warnt: "Würde ein Bundesgericht die Entscheidung des Berufungsgerichts bestätigen, käme das einem Freibrief für zum Islam konvertierte Männer gleich, ihre Kinder ebenfalls zu Muslimen zu machen."
Eine politische Lösung des Problems der einseitigen Konvertierung von Kindern zum Islam ist auch nicht in Sicht. Um Zeit zu gewinnen hat Malaysias Regierung jüngst eine aus drei Ministern bestehende Kommission beauftragt, sich des Problems anzunehmen. Arbeitsgrundlage ist ein Kabinettsbeschluss aus dem Jahr 2009. Kinder sollten bei der Konversion eines Elternteils zum Islam weiter der Religion angehören, in der sie aufgewachsen sind, heißt es in dem Beschluss. "Diese Direktive des Kabinetts und eine entsprechende Gesetzesänderung wurden nie realisiert", sagt Bischof Lapok. "So bleibt die Angelegenheit weiter in der Schwebe."