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Samuel L. Jackson als Meisterdetektiv in dem Film "The Hateful Eight".
Wer hat Angst vorm schwarzen Mann?
Quentin Tarantino setzt sich in seinem kammerspielartigen zweiten Western «The Hateful Eight», der in den verschneiten Wäldern Wyomings spielt, mit Rassismus und Machtverhältnissen auseinander.
26.01.2016
epd
Andreas Busche (epd)

Frankfurt a.M. (epd)Ein Brief von Abraham Lincoln ist die interessanteste Requisite in Quentin Tarantinos Spielfilm" The Hateful Eight". Der Brief ist eine für Tarantino typische Finte: Wer im späten 19. Jahrhundert, einige Jahre nach dem Ende des Bürgerkriegs, mit einem Schreiben des Präsidenten durch den amerikanischen Westen reist, verfügt über eine beglaubigte Autorität, die einen gesetzestreuen Bürger weit bringen kann. Erst recht, wenn der Besitzer ein schwarzer Soldat ist, der sich im Befreiungskampf des Nordens gegen die Südstaaten einen Namen gemacht hat.

Major Marquis Warren (Samuel L. Jackson) hütet diesen Brief wie einen Schatz, er weiß ihn aber auch strategisch klug einzusetzen. Die Brieffreundschaft mit dem Präsidenten ist seine Lebensversicherung. "Ein Schwarzer kann sich nur sicher fühlen, wenn die Weißen entwaffnet sind", erklärt der Major seinen Mitreisenden, dem Kopfgeldjäger John "The Hangman" Ruth (Kurt Russell) und dessen Gefangene Daisy Domergue (Jennifer Jason Leigh mit einem höllisch blühenden Veilchen).

Es geht um Gewaltverhältnisse

So ein Brief ist allerdings auch eine bescheidene Requisite gemessen am technischen Aufwand, den Tarantino betrieben hat, um eine vergangene Epoche des Kinos und der amerikanischen Geschichte zu rekonstruieren. Auf 65-mm-Negativmaterial wurde "The Hateful Eight" gedreht. Hundert 70-mm-Kopien im ruhmreichen Panavision-Format von 2,76:1 (eine Art Super-Cinemascope) waren Weihnachten in einer historischen Roadshow-Version inklusive fünfminütiger Ouvertüre und zwölfminütiger Unterbrechung in ausgewählten US-Kinos unterwegs. 187 Minuten dauert die Langfassung.

Und dennoch suggeriert "The Hateful Eight", dass der Brief, dessen Echtheit im Film reichlich Anlass zu Spekulationen gibt, der eigentliche Grund für diese medienarchäologische Logistikleistung ist. Denn bloß ein weiteres Mal die historischen Kulissen des Westerns hochzufahren (selbst mit einem eigens von Ennio Morricone komponierten Soundtrack), wäre nach "Django Unchained" als alleinige Motivation vielleicht doch etwas dürftig.

Tarantino verlagert den Wilden Westen in einen entlegenen Saloon. Draußen tobt ein heftiger Schneesturm, drinnen haben sich die Protagonisten verbarrikadiert. Vordergründig eine klassische Agatha-Christie-Krimi-Situation, für Tarantino aber auch eine taugliche Amerika-Allegorie. Tatsächlich geht es, wie eigentlich immer in Tarantinos jüngsten Filmen, um Gewaltverhältnisse.

Eine verschenkte Gelegenheit

Also wird zunächst eine Demarkationslinie gezogen. Eine symbolische Mason-Dixon-Linie sozusagen quer durch den Saloon, die die rassistischen Südstaatler von den aufgeklärten Yankees mit ihrem schwarzen "Meisterdetektiv" trennt. Als da wären: ein britischer Edelmann (Tim Roth), ein wortkarger Cowboy (Michael Madsen), ein mexikanischer Hüne (Demián Bichir), ein Konföderiertengeneral a. D. (Bruce Dern), ein angehender Sheriff (Walton Goggins), gleichzeitig Sohn eines legendären Südstaatenrebellen, sowie die Mitreisenden des Majors, der "Hangman" und seine Gefangene.

Leider weiß Tarantino mit diesem reifen Setting im Laufe von fast drei Stunden erstaunlich wenig anzufangen. Seine Amerika-Allegorie, der er mit seiner Kritik an der rassistisch motivierten Polizeigewalt in den USA Nachdruck verlieh, verliert sich bereits während der ersten hundert Minuten in langwierigen Wortgefechten, denen der berühmte "Tarantino-Touch", der noch die banalsten Dialoge zu populärphilosophischen Miniaturen adelt, gänzlich abgeht. Bezeichnenderweise kippt der Film just in dem Moment, als sich nach fast zwei Stunden Smalltalk über das Wesen von Recht und Gesetz und den Selbsterhaltungstrieb der Zivilisation die hochkonzentrierte Spannung schließlich in Gewalt entlädt - die allerdings eher an den ironischen Splatter eines Robert Rodriguez erinnert. Wirklich schmerzhaft ist eigentlich nur Jennifer Jason Leighs undankbare Doppelrolle als Kurt Russells persönlicher Punchingball und comic relief.

Obwohl "The Hateful Eight" durch formale Virtuosität glänzt, ist der Film alles in allem eine verschenkte Gelegenheit. Tarantino will das Westerngenre genauso wenig erneuern wie etwas Substanzielles zu den amerikanischen Verhältnissen sagen.