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Der seit Oktober 2015 neue Chefermittler der Zentralstelle zur Aufklärung von NS-Verbrechen in Ludwigsburg, Jens Rommel.
Massenmördern weiter auf der Spur

Als «Nazijäger» will Jens Rommel nicht gelten. Aber er will Druck machen. Seit Oktober leitet er die Behörde der Landesjustizverwaltungen, die NS-Verbrechern nachspürt. Noch leben mutmaßliche Täter. Das Unrecht müsse geahndet werden, sagt Rommel.
21.01.2016
epd
Alexander Lang (epd)

Ludwigsburg (epd)Jens Rommel will die Aktendeckel nicht zuklappen, sondern noch einmal richtig auf Spurensuche gehen. "Die Zeit drängt", sagt der neue Leiter der Zentralen Stelle zur Aufklärung von NS-Verbrechen in Ludwigsburg bei Stuttgart. Denn die Mitverantwortlichen und Helfer des Hitlerregimes sind hochbetagt und oft verhandlungsunfähig. Viele von ihnen, die etwa in Konzentrationslagern folterten und mordeten, sind bereits gestorben, ohne jemals für ihr Tun zur Verantwortung gezogen worden zu sein.

Rund 1,7 Millionen Karteikarten

"Mord verjährt nicht", weiß der 43-jährige Jurist aus Ellwangen. Seit Oktober ist er Chefermittler der Zentralstelle, die 1958 als Behörde der Länderjustizverwaltungen eingerichtet wurde. Auch mehr als 70 Jahre nach Ende des Zweiten Weltkriegs müssten nationalsozialistische Verbrechen verfolgt werden, sagt der Leitende Oberstaatsanwalt, der nicht verwandt ist mit dem NS-General Erwin Rommel. Sieben Ermittler seiner Behörde - Richter, Staatsanwälte und Polizisten - sammeln weltweit Material gegen NS-Verbrecher. Sie sichten und werten es aus und unterstützen Staatsanwaltschaften bei ihrer Arbeit.

Nach Abschluss der Vorermittlungen übergibt die Zentralstelle, die in einem ehemaligen Frauengefängnis in der Nähe des Ludwigsburger Schlosses untergebracht ist, ihre Fälle an die zuständige Staatsanwaltschaft. Die Zentralkartei enthält rund 1,7 Millionen Karteikarten, sortiert nach Personen, Tatorten und Einheiten. Eine Außenstelle des Bundesarchivs in Koblenz verwaltet die Unterlagen, die für laufende Ermittlungen nicht mehr benötigt werden.

Noch gut zehn Jahre Arbeit liegen vor den Ludwigsburger Ermittlern, sagt Rommel. Dann, so schätzt er, werden die letzten Täter nicht mehr leben und die Zentralstelle wohl zu einem Forschungs- und Dokumentationszentrum umgewidmet. Mit Blick auf wachsende Fremdenfeindlichkeit und Rechtsextremismus sei es wichtig, durch eine gute Jugendbildungsarbeit "gegen das Vergessen anzugehen und für Aufklärung zu sorgen".

Immer schwieriger werde es für die deutsche Justiz, NS-Verbrechern habhaft zu werden. "Mit dem Tod endet das Verfahren", beschreibt Rommel den Kampf der Strafermittler gegen die Zeit. Oft reichten zudem die Beweismittel nicht aus: Ein Menschenleben nach dem Kriegsende sei das Erinnerungsvermögen von Zeugen meist getrübt.

Zusammenarbeit oft zäh

Vier Verfahren stehen in diesem Jahr gegen Menschen an, die im Vernichtungslager Auschwitz eingesetzt waren: in Hanau, Kiel, Detmold und Neubrandenburg. Mehr als 7.500 Vorermittlungsverfahren hat die Zentralstelle in den zurückliegenden 58 Jahren eingeleitet und fast 120.000 Mal anderen Behörden zugearbeitet.

Mehr als 18.000 Verfahren wegen NS-Verbrechen waren seither bei deutschen Staatsanwaltschaften und Gerichten anhängig. Unbehelligt sei mancher Nazi-Scherge in der frühen Nachkriegszeit auch deshalb geblieben, weil staatliche Stellen die Ludwigsburger Ermittler ausgebremst hätten, sagt Rommel.

Es ist für ihn "moralische Pflicht", den Opfern eine Stimme zu geben, wie der Jurist sagt. Für Überlebende und Angehörige sei es wichtig, dass das Unrecht geahndet und die Geschichten der Opfer erzählt würden. Als ein "Nazi-Jäger", wie die Ludwigsburger Ermittler oft genannt werden, will Rommel aber nicht gelten.

Die Zusammenarbeit mit anderen Staaten auf der Suche nach flüchtigen Tätern sei oft zäh, berichtet er. Auf ihrer Spurensuche stöbern die Beamten auch in ausländischen Archiven, oder sie bitten Mitarbeiter der deutschen Botschaften oder Konsulate um Amtshilfe. In Russland überprüfen sie etwa akribisch die Listen von Kriegsgefangenen, in Südamerika gehen sie untergetauchten Nazis mit Hilfe von Einwanderungslisten nach.

Eine wichtige Rolle in der juristischen Aufarbeitung spielt das Urteil des Lüneburger Landgerichts gegen den früheren SS-Mann Oskar Gröning. Der 94-Jährige war im vergangenen Juli wegen Beihilfe zum Mord in mindestens 300.000 Fällen im KZ Auschwitz-Birkenau zu vier Jahren Gefängnis verurteilt worden. Seine Verteidiger und die Anwälte der Nebenkläger beantragten daraufhin eine Revision vor dem Bundesgerichtshof (BGH).

Rommel hofft nun, dass die Karlsruher Richter im Frühjahr das Urteil gegen Gröning bestätigen und möglicherweise auch Leitlinien für den Umgang mit Tätern formulieren werden. Er stellt klar: Ohne die "kleinen Rädchen" im großen Getriebe des NS-Staats seien die "monströsen Verbrechen" der Nationalsozialisten nicht möglich gewesen.