Frauen in allen abrahamitischen Religionen hatten gegen die gleichen Widerstände zu kämpfen: gegen patriarchale Religionsstrukturen und gegen Bräuche, die den Frauen eine untergeordnete Position zuwiesen oder ihnen den Zugang zu öffentlichen Berufen und Ämtern verwehrten. Dieses Schicksal teilten Frauen in vielen Religionsgemeinschaften. Doch es ging auch anders. Unter dem Titel "Aufbrechen aus der Traditionen" hat das Frauenwerk der Nordkirche nach Hamburg eingeladen. Auf dem Podium sind Islamwissenschaftlerin Katajun Amirpur, Rabbinerin Chana Karmann-Lente und die Pastorin Susanne Sengstock. Der Reformatorinnenbegriff wird während der Diskussion sehr weit gefasst, weil alle einbezogen werden sollen, die geistige Umgestaltung und Erneuerungen möglich machten.
Eine dieser christlichen Reformatorinnen, die von der Tradition vergessen wurde, ist beispielsweise Wibe Junge aus dem norddeutschen Dithmarschen. 1485 wurde sie geboren, ihr Todesdatum ist unbekannt. Sie korrespondierte nicht nur mit Luther, sondern lud auch Reformationsprediger ein und förderte das lutherische Bekenntnis. Rückschläge waren da vorprogrammiert, schon weil sie keinen Beruf ausüben durfte, der ihren Einfluss sicherte.
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Zurück in die Gegenwart: So ist im Islam seit einigen Jahren ein Umbruch zu beobachten, in dem die Frauen aus einem neuen Selbstbewusstsein schöpfen. "Männer haben jahrhundertelang die Exegese interpretiert und die Religion gegen die Frauen benutzt", sagt Katajun Amirpur. Die Islamwissenschaftlerin zitiert dabei die Nobelpreisträgerin Shirin Ebadi (geboren 1947). Deren eingängige Formel: "Wenn es eine Hoffnung auf Emanzipation gibt, müssen Frauen den Koran selbst interpretieren". Amirpur, selbst islamische Theologin, die sich für Geschlechtergerechtigkeit einsetzt, vermeidet es alte Labels zu verwenden. Die Kategorie "feministische Theologie" ist in der islamischen Welt nämlich negativ besetzt. Man fürchtet dort, dass Frauen die Macht übernehmen und ihre Familien vernachlässigen. Das sind Vorurteile. Doch es sei klug, neue Begriffe zu finden, damit Frauen die gleiche Teilhabe am Leben bekommen.
Amirpur verweist auf die Arbeiten der amerikanischen Islamwissenschaftlerin Amina Wadud (geboren 1952) und der aus Pakistan stammenden US-Wissenschaftlerin Asma Barlas (geboren 1950). Beide sind Pionierinnen der islamischen Frauenbewegung. Mittels kluger Argumentation oder guter Kenntnis des Arabischen konnten sie Aussagen im Koran in ein völlig neues Licht stellen: Die Sure über die Schöpfung der Menschen hätten die Übersetzer häufig so interpretiert, dass der Mann zuerst geschaffen wurde als vollkommenes Wesen und aus ihm die Frau als unvollkommenes Wesen. Wadud räumt diesen Fehler aus, indem es nun heißt: "Ihr Menschen! Fürchtet euren Herrn, der auch aus einem einzigen Wesen schuf und aus ihm das entsprechende andere Wesen von derselben Art (also beide gleichrangig), und der aus ihnen beiden viele Männer und Frauen hat hervorgehen und sich über die Erde ausbreiten lassen." (Sure 4,1)
Nicht der Koran sei ungerecht, sondern die patriarchalen Interpretationen, "die den Frauen die volle Menschlichkeit abgesprochen haben", schlussfolgert Amirpur. Von Wadud ist bekannt, dass sie sich intensiv auch mit der feministischen Theologie auseinander gesetzt hat. Als Schwarze in den USA hat sie zudem einen starken Sinn für Gerechtigkeit und Benachteiligung entwickelt. Sie weiß, wie sie sich wehren kann. Sie schlägt die Männer mit ihren eigenen Waffen. Ihre Neuinterpretationen inspirieren viele Frauen und geben ihnen ein neues Selbstbewusstsein.
Die Reformation geht weiter: Forderung nach einem gleichberechtigen Glauben
Auf der Tagung wurde auch die Initiative "Women of the Wall" vorgestellt. An der Kotel, also der Klagemauer in Jerusalem, kommen jüdische Frauen orthodoxen, konservativen und liberalen Glaubens einmal im Monat zusammen. Sie widersetzen sich seit fast drei Jahrzehnten den Auflagen der ultraorthodoxen Aufsicht. Den Frauen wird untersagt, laut zu beten, weil angeblich die Männer die Stimme der Frauen sexuell anregen könnte. Ihnen wird auch das Tragen traditioneller Gebetsutensilien wie des Gebetsschals untersagt. Kurz: die Frauen dürfen ihre Religion nicht frei ausüben.
Am Ende der Tagung in Hamburg blieb nicht viel Zeit für ein Fazit. "Heute sollen sich Frauen fragen, wie sie mit Widerständen umgehen und wo sie Frauen unterstützen können", sagt die Theologin Susanne Sengstock. "Unsere Reformatorinnen sind Frauen, die verwurzelt sind und etwas aufbrechen in der Tradition." Wer verunsichert sei in seiner Religion, der habe Angst und grenze sich ab. "Aber offen sein kann man nur, wenn man ein Gottvertrauen hat", meint die Theologin. Alle Reformatorinnen werden aktiv, weil sie Unrecht wahrgenommen haben. Die Reformation geht weiter, weil sich das Leben verändert, weil sich etwas wandelt, auch in den Gottesbildern.