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Flüchtlinge kommen in der Hessischen Erstaufnahmeeinrichtung in Gießen an.
Kritik an Flüchtlingskurs der Bundesregierung wächst
Die Flüchtlingspolitik von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) verliert vermehrt Zustimmung in der Bevölkerung und beim Koalitionspartner. Auch SPD-Politiker fordern inzwischen einen Kurswechsel.

Berlin (epd)Die Flüchtlingspolitik von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) verliert vermehrt Zustimmung in der Bevölkerung und beim Koalitionspartner. Auch SPD-Politiker fordern inzwischen einen Kurswechsel: "Die Bundeskanzlerin wird sich im Laufe des Jahres korrigieren müssen", sagte Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) der Tageszeitung "Die Welt" (Freitagsausgabe). "Entweder gelingt es, international die Zugangszahl zu drosseln. Oder wir müssen Dinge tun, die niemand will und die Europa schaden werden." Umfragen von ARD und ZDF legen nahe, dass auch in der Bevölkerung der Rückhalt für die Kanzlerin schwindet.

Ausnahme wurde Normalität

Dem ARD-Deutschlandtrend zufolge bezweifelt jeder zweite Bundesbürger (51 Prozent), dass Deutschland die aktuelle Flüchtlingskrise bewältigen kann. 44 Prozent unterstützen die Einschätzung Merkels. Im Oktober 2015 waren noch 49 Prozent der Bürger der Meinung, dass Deutschland die Flüchtlingskrise im Land lösen wird, 48 Prozent waren damals skeptisch. Auch das aktuelle ZDF-Politbarometer zeigt Skepsis der Bürger: 60 Prozent der Befragten waren hier der Meinung, dass Deutschland die Zahl der Flüchtlinge nicht verkraften könne. 37 Prozent halten sie für verkraftbar.

Altkanzler Gerhard Schröder (SPD) kritisierte im "Handelsblatt" (Freitagsausgabe) mit Blick auf die Entscheidung zur Aufnahme von Syrien-Flüchtlingen im Sommer 2015, die Regierungschefin habe aus einer Ausnahme eine neue Normalität werden lassen. Man könne den Eindruck gewinnen, nationale Grenzen hätten keine Bedeutung mehr. "Das ist gefährlich, und das ist auch nicht richtig", sagte Schröder.

Unterstützung bekommt Merkel dagegen vom ehemaligen Außenminister Joschka Fischer (Grüne). "Alles in allem kann ich ihr keine schlechten Noten geben", sagte er dem Fernsehsender Phoenix. Zudem kritisierte er: "Mir wird zu viel von Überforderung geredet und zu wenig von den Chancen."

Über Kosten und Nutzen von Migranten und deren Einfluss auf die Volkswirtschaft will der Internationale Währungsfonds (IWF) in der nächsten Woche eine Studie beim Weltwirtschaftsforum in Davos vorlegen. IWF-Chefin Christine Lagarde warnte in der "Süddeutschen Zeitung" (Freitagsausgabe), das Flüchtlingsthema zu unterschätzen, Die Herausforderung sei "viel größer, als wir sehen und sehen wollen", sagte Lagarde.

Regierungssprecher Steffen Seibert verteidigte den Kurs der Kanzlerin, die mit einem Paket nationaler, europäischer und internationaler Maßnahmen die Flüchtlingszahlen reduzieren will. Dazu gehört der Wunsch nach einer besseren Verteilung Asylsuchender in der EU und die geplante engere Kooperation mit der Türkei, die Flüchtlinge von der Weiterreise in die EU abhalten soll. Für Freitag nächster Woche sind die ersten deutsch-türkischen Regierungskonsultationen geplant, bei denen es auch um das Thema Migration gehen soll.

Bundestagsabstimmung über den Kurs

Seibert warnte auch vor Mutmaßungen über die erwartete Flüchtlingszahl in diesem Jahr. Es sei nicht seriös, bereits jetzt Zahlen hochzurechnen. Nach Angaben des Bundesinnenministeriums kommen aktuell oftmals weniger als 2.000 Flüchtlinge pro Tag über die deutsch-österreichische Grenze. Im vergangenen Jahr waren es häufig bis zu 10.000 täglich.

Der Widerstand in der CSU gegen die Flüchtlingspolitik Merkels ebbt nicht ab. Im "Spiegel" forderte der bayerische Finanzminister Markus Söder (CSU) eine Bundestagsabstimmung über den Kurs. Der CSU-Bundestagsabgeordnete Stephan Mayer widersprach derweil im Deutschlandfunk Meldungen, wonach in der Unionsfraktion Unterstützer für einen entsprechenden Antrag gesucht werden. "Es gibt keine Unterschriftenaktion", sagte er.

Die Caritas forderte die Politik auf, nach den sexualisierten Übergriffen gegen Frauen an Silvester in Köln nicht in übereilte Reaktionen zu verfallen. "Die Regierung sollte mit Besonnenheit handeln und nicht den Fehler machen, ihre Flüchtlings- oder Integrationspolitik davon bestimmen zu lassen", sagte Präsident Peter Neher.