Rom (epd)Papst Franziskus rügt Heuchelei und Selbstgerechtigkeit in der Kirche. In seinem am Dienstag erschienenen ersten Interview-Buch wirbt er für eine allen Menschen gegenüber offene Barmherzigkeit. Gläubigen, die ihre Sünden als Flecken betrachteten, die mittels Reinigung oder Waschmaschine entfernt werden könnten, wirft er Heuchelei vor. Sünden seien vielmehr Wunden, die geheilt werden müssten. Die Kirche sieht er daher als "Feldlazarett", das sich um Verletzungen der Menschen kümmere.
Botschaft der Barmherzigkeit
Das Buch "Der Name Gottes ist Barmherzigkeit" erscheint drei Jahre nach dem Amtsantritt von Franziskus in sechs Sprachen gleichzeitig in 86 Ländern. Es basiert auf einem Gespräch, das der italiensche Vatikanexperte Andrea Tornielli von der Tageszeitung "La Stampa" im Juli mit dem Papst geführt hat.
Die deutschsprachige Ausgabe des 128-Seiten-Buches, das Gläubigen ebenso wie Menschen ohne religiöse Bindung die Botschaft der Barmherzigkeit nahebringen soll, erscheint im Kösel-Verlag. Barmherzigkeit steht auch im Mittelpunkt des Heiligen Jahres, das der Papst am 8. Dezember eröffnet hatte.
Die italienische Originalausgabe präsentierten der zweite Mann im Vatikan, Kardinalstaatssekretär Pietro Parolin, und der italienische Schauspieler und Oscar-Preisträger Roberto Benigni ("Das Leben ist schön") gemeinsam mit einem Chinesen, der in der Haftanstalt von Padua zum Christentum übergetreten ist. Die Präsentation der Weltpremiere wurde vom vatikanischen Sender "TV 2000" live übertragen.
"Nur dieser Papst kann auf die Idee kommen, sein Buch von einem Kardinal aus Venetien, einem Häftling aus China und einem Komiker aus der Toskana präsentieren zu lassen", sagte Benigni. Als kleiner Junge habe er auf die Frage, was er werden wolle, immer geantwortet "Il papa" (der Papst), ergänzte Benigni. "Da habe ich gesehen, dass ich Komiker werden musste." Den Papst nannte Benigni einen großen Revolutionär, den größten Mann der Welt im kleinsten Staat der Welt. Das Buch zeige, dass Barmherzigkeit keine passive Tugend sei, die sich im Sessel ausruhe, sondern eine Tugend, die keinen Moment still stehe.
Die Kirche sei aufgerufen, zu allen barmherzig zu sein, die sich zu ihrer Sünde bekennen und die "Verantwortung für das begangene Übel übernehmen", schreibt Franziskus in dem Buch. Aufgabe der Kirche sei es nicht zu urteilen, sondern die Begegnung mit Gottes Liebe und Barmherzigkeit zu ermöglichen. Gefragt sei eine tätige Kirche, bei der Priester und Mitarbeiter die Kirchen und Pfarrhäuser verlassen und dorthin gehen, wo Menschen leben, leiden und hoffen.
Verlust der Scham
Zum Umgang der katholischen Kirche mit Homosexuellen bekräftigt der Papst seine Auffassung, dass Schwule und Lesben, die guten Willens seien und Gott suchten, nicht zu verurteilen seien. Niemand dürfe Homosexuelle "an den Rand drängen". Alle Menschen seien "von Gott geliebte Geschöpfe, denen er seine unendliche Liebe zuteil werden lässt".
Alle Menschen müssten in der Kirche Aufnahmebereitschaft finden, keine Verurteilung, kein Vorurteil und keine Strafe. Aus Gesetzestreue drohten manche Christen, das Feuer zu löschen, das Menschen zur Sehnsucht nach Gott bewege. Kirchenvertretern, die sich auf das "formale Einhalten der Regeln" konzentrierten, wirft Franziskus in seinem Buch Heuchelei vor. Als selbstgerecht bezeichnet er darin Gläubige, die überzeugt sind, der Vergebung nicht zu bedürfen.
Als korrupt beschreibt der Papst überdies den Gläubigen, der sonntags zur Messe geht, "aber kein Problem damit hat, seine Machtposition auszunützen und Schmiergelder einzustreichen". Die Sünde der Korruption führe zum Verlust der Scham, warnt Franziskus. "Meist merkt der Korrupte seinen Zustand nicht einmal, ähnlich wie jemand, der starken Mundgeruch hat und diesen selbst gar nicht bemerkt."