"Widerstehen", "Orientierung geben", "Entscheidungen" treffen, den "Irrlehren" nicht folgen – wenn man das Memorandum des ehemaligen CVJM-Generalsekretärs und ProChrist-Redners Parzany liest, meint man, es wäre 1934. "Wir verwerfen die falsche Lehre" ist eine Formulierung aus der Barmer Theologischen Erklärung – also aus einer Zeit, in der Protestanten in Deutschland wirklich Grund hatten, zu protestieren. Sieht Parzany liberale Geschwister etwa auf einer Linie mit den "Deutschen Christen" und die Kirche durch politische Ideologie in ihrer Existenz bedroht? Die Formulierung ist ein ziemlich schweres Geschütz.
Wir Protestanten haben zwar untereinander manches zu diskutieren, wir gehen verzweigte Wege, nicht alle stimmen mit den Glaubensauffassungen ihrer Geschwister überein. Doch das gehört dazu, das ist protestantische Freiheit. Wir müssen die Unterschiede aushalten und wir sollten uns trotzdem um Einheit bemühen. Ich glaube nicht, dass irgendwer von uns einen selbsternannten Rufer "zur Mitte" braucht, um den Glauben zu "erneuern", wie Parzany schreibt. Jede Christin und jeder Christ mag sich selbst ein Urteil bilden, wie die Aussagen der Bibel heute zu verstehen seien. Selber denken gehört seit der Reformation zur Freiheit eines Christenmenschen dazu.
Drei Sachfragen zählt Parzany auf, in denen Protestanten (vermutlich die von der EKD) seiner Ansicht nach "Irrlehren" folgen: Bibelauslegung, Judenmission, Homosexuelle. Es sträubt sich in mir, diese drei Themen im Einzelnen auseinanderzunehmen. Wie kann man denn heute noch glauben, die Bibel sei als "Gottes Wort" einfach vom Himmel gefallen und sich methodischen Zugängen komplett verweigern? Wie kann man so überheblich sein, Gottes auserwähltes Volk belehren und bekehren zu wollen? Und wann dürfen gleichgeschlechtlich liebende Menschen endlich hoffen, nicht mehr derart herabgewürdigt und ausgegrenzt zu werden?
Wer kennt schon die Wahrheit?
Zumindest was die historisch-kritische Exegese angeht dachte ich, sie wäre zumindest unter Theologen (Parzany hat Theologie studiert und beide Examen abgelegt) allgemein anerkannt. Bei den Themen Judenmission und Homosexualität sind wir Protestanten noch mitten in der Diskussion – in den Gemeinden, in den Landeskirchen, in den Freikirchen, in den Synoden. Wir müssen weiter darüber reden und mit Argumenten zu überzeugen versuchen, anstatt einfach nur mit Bibelversen um uns zu werfen.
Das Neue an Parzanys Memorandum – und das finde ich besonders bedenklich – ist der Aufruf zur Spaltung. Ein "Netzwerk Bibel und Bekenntnis" will er gründen, konservativer und bibeltreuer als die Deutsche Evangelische Allianz. Damit auch klar ist, wer die wirklich Rechtgläubigen sind, die den geraden Weg gehen, ohne zu irren. Es kann aber doch niemand von sich behaupten, Gottes Wahrheit endgültig erkannt zu haben!
Michael Diener, Vorsitzender der Evangelischen Allianz, Präses des Gnadauer Gemeinschaftsverbandes und neuerdings auch EKD-Ratsmitglied, ist auf einem guten Weg: Er hinterfragt alte Überzeugungen, ruft die Evangelikalen dazu auf weniger selbstgerecht zu sein und sucht den Dialog. Das ist eigentlich selbstverständlich für einen Menschen in seiner Position und zugleich hoch zu würdigen, denn Diener setzt sich dem Widerstand in den eigenen Reihen aus und steht gerade eine harte Zeit durch. Ulrich Parzany ist mit seiner Rede von "Irrlehren" auf dem falschen Weg: Er beharrt auf allzu simplen "Wahrheiten" und er zieht absichtlich Grenzen. Wer nicht die "klare Orientierung gemäß der Heiligen Schrift" sucht, sprich: Parzanys Thesen folgt, ist aus seiner Sicht kein rechtgläubiger Christ. Was nun – zur Hölle mit uns anderen?!?
Vor Jahren habe ich in Siegen bei ProChrist mitgearbeitet – ich traue mich heute kaum, das zuzugeben. Ulrich Parzany war der Redner, und ein großes Team aus kirchlichen und freikirchlichen Evangelischen hat die Veranstaltung organisiert. Auch wenn uns manche Formulierungen der jeweils anderen in den Gebetgemeinschaften komisch vorkamen, auch wenn nicht alle mit jedem Wort einverstanden waren: Es war eine gute Sache, wir arbeiteten zusammen, wir hatten Ziele. Heute wäre mir eine solche Mitarbeit keinesfalls mehr möglich – ich würde es nicht über die von Parzany gezogene Grenze schaffen. Ich würde da auch nicht hin wollen. Und nicht zuletzt wäre ich auf der anderen Seite auch nicht erwünscht als "Irrende", die "falschen Lehren" folgt.