Rechtsprofessor: Gabriel-Vorschlag verstößt vermutlich gegen Verfassung
Die Überlegungen in der Bundesregierung zur Einführung einer Wohnsitzauflage auch für anerkannte Asylbewerber verstößt aus Sicht des Oldenburger Verfassungsrechtlers Volker Boehme-Neßler vermutlich gegen das Grundgesetz.
11.01.2016
epd
Jörg Nielsen (epd-Gespräch)

Oldenburg, Berlin (epd)Wer anerkannten Asylbewerbern den Wohnsitz vorschreiben wolle, müsse einen tiefen Eingriff in die Verfassung vornehmen, sagte Volker Boehme-Neßler am Montag dem Evangelischen Pressedienst (epd). Dies sei nur unter strengen Bedingungen möglich. "Ich habe meine Zweifel, dass solche Umstände hier gegeben sind."

Vizekanzler Sigmar Gabriel (SPD) hatte am Sonntagabend in der ARD gefordert, der deutsche Staat solle anerkannten Flüchtlingen den Wohnort vorschreiben. So sollten Ghettos in den Großstädten verhindert werden. Auch Kanzleramtsminister Peter Altmaier und Bundesinnenminister Thomas de Maizière (beide CDU) sprachen sich für eine entsprechende Prüfung aus.

Nicht mit Kanonen auf Spatzen schießen

Boehme-Neßler betonte, Artikel 2 des Grundgesetzes schütze die Freiheit aller Menschen - also auch die der anerkannten Flüchtlinge. Ein Grundrecht dürfe nur geändert werden, wenn dies legitim, geeignet und erforderlich sei. Wenn eine mildere Maßnahme das gleiche Ziel erreichen könne, dürfe nicht in die Grundrechte eingegriffen werden: "Das bedeutet, es darf nicht mit Kanonen auf Spatzen geschossen werden."

Im konkreten Fall gehe es letztlich um die Frage, ob Übergriffe wie in der Kölner Silvesternacht nur mit einer Residenzpflicht für alle Flüchtlinge verhindert werden könnten, sagte der Verfassungsrechtler. "Ich kann mir nicht vorstellen, dass dies nicht mit anderen Mitteln möglich ist." Dies sei eine Frage der Integration und der Polizeiarbeit.

Bei noch nicht anerkannten Flüchtlingen sei die Situation jedoch eine andere. In diesem Fall sei eine Einschränkung der Freizügigkeit nachvollziehbar, weil es darum gehe, überhaupt einen Überblick zu erhalten, sagte Boehme-Neßler.