Frankfurt a.M. (epd)"2015 wird in die Geschichte unseres Landes eingehen als das Jahr, an dem Deutschland über sich hinausgewachsen ist", erklärte der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Heinrich Bedford-Strohm, am Mittwoch in München: "Hätte einer am Weihnachtsfest des letzten Jahres vorhergesagt, dass unser Land in diesem Jahr eine Million Flüchtlinge aufnehmen würde, er wäre als realitätsfremder Träumer bezeichnet worden."
Bedford-Strohm kritisierte zugleich die Pläne für eine Einschränkung beim Familiennachzug für syrische Flüchtlinge. "Viele Syrer hier in Deutschland machen sich große Sorgen um ihre Angehörigen zu Hause, die jeden Tag Angst um Leib und Leben haben müssen", sagte der bayrische Landesbischof der in Oldenburg erscheinenden "Nordwest-Zeitung" (Mittwochsausgabe). Die Weihnachtsbotschaft stelle Flüchtlinge besonders in den Mittelpunkt. Dies gebe Hoffnung, dass nicht die Gewalt das letzte Wort habe, sondern das Leben.
"Revolution der Empathie"
Ängste vor einer Islamisierung Deutschlands hält der EKD-Ratsvorsitzende für unbegründet. "Die Angst ist da am größten, wo Menschen keine Muslime kennen", sagte Bedford-Strohm am Mittwoch im "Morgenmagazin" des ZDF. Er rief dazu auf, die "große Kraft des christlichen Glaubens" wahrzunehmen. Dann müsse man angesichts von 50 Millionen Christen in Deutschland keine Angst davor haben, wenn im Zuge der Einreise von Flüchtlingen vielleicht zwei Millionen Muslime neu ins Land kämen. Mit Blick auf die Aufnahme von rund einer Million Flüchtlinge sprach Bedford-Strohm von einer "Revolution der Empathie".
Auch die stellvertretende EKD-Ratsvorsitzende Annette Kurschus lobte das große Engagement in Deutschland für die Flüchtlinge. Die Hilfsbereitschaft sei enorm, sagte die westfälische Präses Kurschus dem in Bielefeld erscheinenden "Westfalen-Blatt" (Weihnachtsausgabe). Zugleich warb sie dafür, auch kritischen Fragen und Befürchtungen der Bürger in Deutschland Raum zu geben. Es müsse möglich sein, Probleme bei der Aufnahme von Flüchtlingen klar zu benennen, ohne in eine bestimmte Ecke gestellt zu werden.
Scharfe Kritik äußerte Kurschus an der fremdenfeindlichen "Pegida"-Bewegung. Bei "Pegida" gingen die Menschen mit schwarz-rot-goldenen Kreuzen auf die Straße, als wäre der Glauben eine nationale Sache. "Das ist ein Missbrauch des Evangeliums", kritisierte sie. Angesichts von Millionen Menschen auf der Flucht sei es die Aufgabe der Christen, für eine freundliche und aufnahmebereite Grundstimmung zu sorgen, erklärte die leitende Theologin der viertgrößten deutschen evangelischen Landeskirche.
"Deutschland hat ein neues Gesicht"
Der Berliner Bischof Markus Dröge sieht in der Weihnachtsgeschichte eine hoffnungsvolle Botschaft für die aktuellen Herausforderungen in Deutschland. Der Zuspruch "Fürchtet Euch nicht!" an die Hirten im Weihnachtsevangelium sei eine Zusage und ein Impuls, die Gesellschaft gemeinsam mit den vielen Neubürgern "als eine offene, von den Menschenrechten geprägte Gemeinschaft zu gestalten", erklärte Dröge in seiner Weihnachtsbotschaft. Erstaunlich viele Bürger hätten mit großem persönlichem Einsatz "denen geholfen, die aus Not und Terrorangst aufgebrochen sind". "Deutschland hat ein neues Gesicht bekommen", unterstrich der Bischof.
Der EKD-Friedensbeauftragte, der leitende Bremer Theologe Renke Brahms, würdigte den Einsatz vieler Menschen, "die sich ein Herz fassen und einfach anfangen mit ihrem Engagement beispielsweise für Flüchtlinge oder für obdachlose Menschen." Wenn das geschehe, sei schon ein großer Schritt getan - "von dem Kind in der Krippe hin zu echter Weihnachtsfreude", sagte Brahms mit Blick auf das bevorstehende Weihnachtsfest.
Der evangelisch-reformierte Kirchenpräsident Martin Heimbucher sprach sich für eine "Willkommenskultur" für Flüchtlinge an den europäischen Außengrenzen aus. "An unserem Umgang mit den Flüchtlingen wird alle Welt ablesen können, ob wir Europäer den hohen Ansprüchen gerecht werden, die wir für uns selber gern erheben", sagte Heimbucher in Leer. Wenn sich die EU entscheide, Flüchtlinge an ihren Außengrenzen aufzuhalten, müsse dies unter Wahrung der Menschenwürde geschehen.