Beine vorbeieilender Menschen auf der Straße.
Richtig Warten: "Ich versuche zu lächeln"
Serie: Fragen an "Warte-Expertinnen und –Experten" Folge 5: Die Verkäuferin der Obdachlosen-Zeitung
Advent - Zeit des Wartens, Zeit der Erwartung. Wie aber wartet man richtig? Was macht das Warten aus? Und: Was macht das Warten mit mir? Um diese Fragen zu klären, hat evangelisch.de Menschen gefragt, die sich mit dem Warten auskennen. Folge 5: Die Verkäuferin der Obdachlosen-Zeitung StreetWorker.

Welcher Beschäftigung gehen Sie nach – und worin besteht diese hauptsächlich?

Paula Cimpeanu: Ich verkaufe die Obdachlosen-Zeitung "StreetWorker". Ich stehe vor dem Supermarkt oder der Post, halte die Zeitung hoch und lächle.

Wieviel Zeit in Prozent verbringen Sie mit Warten bei Ihrer Beschäftigung?

Cimpeanu: Meine Beschäftigung besteht zu hundert Prozent aus Warten.

Wie oft warten Sie?

Cimpeanu: Zehn Stunden am Tag.

Warum muss das so sein?

Cimpeanu: Ich bin erst seit vier Monaten in Deutschland. Mein Mann und ich sind mit unseren fünf- und drei Jahre alten Kindern aus Rumänien hierher gekommen, weil es dort keine Arbeit für uns gab. Ich spreche noch nicht so gut deutsch und habe bisher keine andere Arbeit gefunden.

"Ich versuche jedem in die Augen zu sehen und zu lächeln."

Wer oder was bestimmt, wie lange Sie warten?

Cimpeanu: Ich habe selbst entschieden, zehn Stunden zu arbeiten. Wenn ich Glück habe, habe ich dann ungefähr 20 Euro verdient. Seit es kalt ist, läuft es nicht mehr so gut. Im Moment passt meine Mutter auf meine Kinder auf. Wenn sie Ende Dezember nach Rumänien zurückgeht, dann werde ich erstmal nicht mehr arbeiten können. Die Kinder bekommen erst im September 2016 einen Platz im Kindergarten und der Schule.

Würden Sie das Warten gerne verkürzen, wenn Sie könnten?

Cimpeanu: Ja, ich würde gerne schneller mehr Geld verdienen. Mein Mann verdient 1050 Euro im Monat. Er putzt für eine Firma bei einem Supermarkt. Wir zahlen 530 Euro Miete. Es ist schwierig.

Paula Cimpeanu verkauft die Obdachlosen-Zeitung "StreetWorker".

Beim Warten: Vertreiben Sie (sich) die Zeit – oder nutzen Sie sie?

Cimpeanu: Jedem, der aus der Post oder dem Supermarkt kommt, versuche ich in die Augen zu sehen und zu lächeln. Manchmal lächeln die Leute zurück, viele gucken auch gar nicht.

Lohnt es sich?

Cimpeanu: Es ist besser als gar nichts. Wir brauchen etwas zu essen und zu trinken, wir brauchen Kleidung. Da wir keine Sozialhilfe bekommen, habe ich keine Wahl.

"Wenn meine zehn Stunden um sind, will ich schnell zu meinen Kindern."

Worauf kommt es an, damit Sie das Gefühl haben, Sie warten nicht umsonst?

Cimpeanu: Dass es wenigstens ein paar Leute am Tag gibt, die anhalten und eine Zeitung kaufen.

Kann das Warten schief gehen?

Cimpeanu: Ja, das passiert. Ich habe Angst. Diesen Monat ist es sehr knapp. Der Chef (der Vermieter, Anmerk. der Red.) hat gesagt, dass wir ausziehen müssen, wenn wir zwei Monate hintereinander die Miete nicht bezahlen können. Dann müssen wir mit den Kindern auf die Straße. Wir haben ja keinen Anspruch auf irgendetwas. Nach Rumänien will ich aber nicht. Ich bin 22 Jahre alt. Ich habe keine Ausbildung, ich musste immer Gelegenheitsjobs machen, dass wir etwas zu essen hatten.

Welche Eigenschaft ist am wichtigsten, um erfolgreich warten zu können?

Cimpeanu: Hoffnung.

Lassen Sie auch andere warten?

Cimpeanu: Nein. Wenn meine zehn Stunden um sind, will ich schnell zu meinen Kindern.