Frankfurt a.M. (epd)Mit dem vom Papst ausgerufenen Heiligen Jahr der Barmherzigkeit, das am 8. Dezember beginnt, rückt ein Thema in den Vordergrund, das von vielen Gläubigen in Deutschland als Relikt aus dem Mittelalter betrachtet wird: der Ablass. Heilige Jahre sind Hoch-Zeiten für Ablässe. Einen Ablass kann erlangen, wer während eines Heiligen Jahres durch eine Heilige Pforte geht und danach bestimmte Gebete spricht und Buße tut.
Wirkliche Erfahrung
Seinem Leitthema, der Barmherzigkeit, folgend hat Papst Franziskus die Möglichkeiten sogar noch ausgeweitet: In jedem Bistum dürfen diesmal Heilige Pforten eröffnet werden, Gefangene können den Ablass beim Gang durch die Zellentür und Kranke im Bett empfangen. "Ich möchte, dass der Jubiläumsablass jeden als wirkliche Erfahrung der Barmherzigkeit Gottes erreicht", schreibt Franziskus.
Zurückhaltender sind da die deutschen katholischen Bischöfe. In ihrer Botschaft zum Heiligen Jahr taucht das Wort Ablass kein einziges Mal auf. Auch die 30-seitige Broschüre der Bischofskonferenz kommt ohne aus, nur im Internetangebot steht etwas darüber.
Auch der Würzburger Weihbischof Ulrich Boom, Beauftragter der Bischofskonferenz für das Heilige Jahr, will nicht viel dazu sagen. Der Kern des Heiligen Jahres sei nicht der Ablass, sondern "dass wir für Gott Tür und Tor öffnen", sagt er. Und der katholische Propst und Domkapitular in Bremen, Martin Schomaker, sagte, der Ablass spiele an der Basis keine Rolle: "Wir sollten uns den Begriff ersparen."
Auch der evangelische Theologe Martin Bräuer beobachtet große Skepsis. Bei Katholiken stoße er meist auf zwei Reaktionen, berichtet Bräuer, der im evangelischen Konfessionskundlichen Institut in Bensheim für Grundsatzfragen katholischer Theologie zuständig ist: Viele dächten, die Lehre vom Ablass sei mit dem Zweiten Vatikanischen Konzil abgeschafft. Andere wüssten zwar davon, sagten aber: "Einen aufgeklärten Katholiken interessiert das nicht." Auch in Gesprächen mit katholischen Theologen und Würdenträgern stoße er beim Ablass eher auf Zurückhaltung.
Unbehagen mit dem Ablass
Der Annahme mancher deutscher Katholiken, der Ablass sei in der argentinischen Heimat des Papstes und in Mittel- und Südamerika verbreitet, widerspricht Michael Huhn vom katholischen Lateinamerika-Hilfswerk Adveniat. Dort seien zwar Vergebung und Wiedergutmachung große Themen, der Ablass spiele aber höchstens in einigen Wallfahrtsorten eine Rolle.
Das Unbehagen mit dem Ablass mag darin gründen, das die Voraussetzung dafür nicht nur Hölle ist, sondern auch das Fegefeuer: im Purgatorium, einer Art Vorstufe des Himmels, werden die Gläubigen gereinigt. Mit dem Ablass kann der Gläubige die "zeitlichen Sündenstrafen", die er im Leben oder im Fegefeuer zu verbüßen hat, verkürzen. Die "ewigen Sündenstrafen", die in der Hölle gelten würden, sind zuvor mit der Vergebung im Sakrament der Beichte weggenommen worden. Und auch die Unterscheidung von "vollkommenem" und "unvollkommenem" Ablass trägt nicht zur Klarheit bei.
Zudem wirkt der Kampf Martin Luthers (1483-1546) gegen die Auswüchse des Ablasshandels nach, der zum Auslöser für die Reformation wurde: Papst Leo X. hatte einen Sündenablass versprochen, wenn die Gläubigen Geld für den Bau des Petersdoms spendeten.
Inhalt wird umgedeutet
Zwar gibt es den Handel mit Ablassbriefen schon lange nicht mehr, die Lehre vom Ablass selbst steht aber noch in den Katechismen. Heute wird der Ablass oft als Angebot verstanden, das Leben neu zu ordnen und das Gewissen zu reinigen. Auch Franziskus sagt, dass der Ablass "allen mit dem Antlitz eines Vaters entgegenkommt, der annimmt und vergibt, indem er die begangene Sünde vollkommen vergisst".
Das sei ein "typisch katholisches Phänomen", sagt der Protestant Bräuer: "Man behält einen Begriff wie Ablass über Jahrhunderte hinweg bei, deutet den Inhalt aber immer wieder um." Das könne auch in ökumenischen Gesprächen ein Hindernis sein, weil die Definition "nicht richtig geklärt ist". Ein weiteres Problem sei die katholische Vorstellung, dass die Kirche die Verwalterin des "Schatzes der Verdienste Christi und der Heiligen" ist und den Gläubigen daraus den Ablass gewährt.
Weihbischof Boom verweist zur Ökumene auf die Barmherzigkeit: Das Heilige Jahr ende, wenn bei den Protestanten das Reformationsgedenken 2017 beginne, sagt er. Und auch Martin Luther habe die Frage gestellt: "Wie finde ich einen gnädigen und barmherzigen Gott?"