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Der Film "Dämonen und Wunder - Dheepan" läuft ab Donnerstag in den Kinos.
Neuanfang in Paris

Der Gewinner der Goldenen Palme von Cannes: Jacques Audiards intensive Mischung aus Drama und Thriller erzählt von tamilischen Flüchtlingen, die in der Pariser Banlieue einen Neuanfang versuchen.
08.12.2015
epd
Patrick Seyboth (epd)

Frankfurt a.M. (epd)Tamil-Tiger-Soldat Dheepan verlässt seine Kampfeinheit und verbrennt seine Uniform. In einem provisorischen Flüchtlingslager auf Sri Lanka kauft er zusammen mit einer fremden Frau und einem auf die Schnelle dazu geholten kleinen Mädchen die Pässe einer toten Familie. Als Schicksalsgemeinschaft reisen sie im Film "Dämonen und Wunder - Dheepan" des französischen Regisseurs Jacques Audiard nach Europa, dazu gezwungen, nun weiter eine Familie zu spielen.

Chaos und Gewalt

In einem heruntergekommenen Vorort von Paris erhalten sie eine Wohnung, Dheepan wird als Hausmeister angestellt, die Frau an seiner Seite findet einen Job als Pflegerin. Die Neuankömmlinge versuchen sich einzufügen, trotz ihrer spärlichen Sprachkenntnisse.

Detailgenau und mit ergreifender Empathie vollzieht der Film einen Prozess der Desillusionierung nach, wenn die "Familie", jeder für sich, erkennen muss, dass die Zustände, vor denen sie geflohen sind, hier ebenfalls und nur in anderer Form herrschen: das Recht des Stärkeren, Chaos und Gewalt. Kriminelle Banden haben das Viertel fest im Griff.

Mit intuitiv wirkender Kamera und Montage taucht der Film in die schäbige Welt der Pariser Vororte ein und erkundet sie quasi mit den Augen seiner drei Protagonisten als fremdes Terrain, auf dem eigene Gesetze herrschen. Dennoch eignet sich der Film kaum zur Munition in Debatten über "Parallelgesellschaften". Dafür bleibt er zu nah an seinen Hauptfiguren und schlägt keine verallgemeinernden, politischen Töne an.

Faszinierende Präsenz

Politisch ist "Dämonen und Wunder - Dheepan" vielmehr durch seinen Humanismus, der nicht nur den Flüchtlingen, sondern auch den kleinen Dealern und Gangstern des Viertels genug Aufmerksamkeit schenkt, um sie als Individuen zur Geltung kommen zu lassen.

Daran hat auch der Hauptdarsteller seinen Anteil: Der Schriftsteller Jesuthasan Antonythasan - er selbst kämpfte als Kindersoldat bei den Tamil Tigers, bevor er als Flüchtling nach Frankreich kam - spielt hier seine erste Filmhauptrolle und entwickelt eine faszinierende Präsenz als von traumatischen Kriegserfahrungen gezeichneter Dheepan.

Die Fähigkeit des Regisseurs Jacques Audiard, in seiner Inszenierung beiläufig, doch präzise sozialen Alltag und hintergründige Machtverhältnisse abzubilden, und dabei zugleich tief und mitfühlend in das Seelenleben seiner Protagonisten zu blicken, erreicht hier eine große Dichte. Mit großer Konsequenz zeigt der Film die Fähigkeit all seiner Figuren zum Guten und Bösen, zu Kälte und Einfühlung - und allem möglichen dazwischen.