Welcher Beschäftigung gehen Sie nach – und worin besteht diese hauptsächlich?
Hiltrud Rübner: Ich bin von Beruf Psychologin, aber hier fragen Sie wohl die Jägerin. Hauptsächlich muss ich die Fähigkeit zum "Nicht-tun" haben, wie sie bei Carlos Castaneda beschrieben ist.
Wieviel Zeit in Prozent verbringen Sie mit Warten bei Ihrer Beschäftigung?
Rübner: Viele Menschen stellen sich vor, dass man bei der Jagd stundenlang auf einem Hochsitz sitzt und auf ein Tier wartet, das man dann erlegen kann. Als Jägerin habe ich aber selten das Gefühl, zu warten. Eher betrachte ich die Natur in meiner Umgebung und horche in sie und mich hinein. Das ist übrigens in der Psychoanalyse auch so.
Wie oft warten Sie?
Rübner: Selten.
Warum muss das so sein?
Rübner: Das ist so, weil ich mein Leben nicht mit Warten verbringen möchte. In der Natur gibt es immer etwas zu beobachten: Vögel, kleine Tiere, Veränderungen des Lichts und – besonders interessant – die Geräusche in der Umgebung. (In der Praxis kommen die Patienten übrigens meist zu Beginn ihrer Stunde, weil es sich um ihre Zeit handelt, die sie versäumen – es gibt da keine "Nachspielzeit".) Die Zeit brauche ich, weil ich Geduld für die richtige Entscheidung benötige, mich sammeln will, damit ich morgen mit meiner Entscheidung von gestern noch einverstanden sein kann. Ob ich schieße, um ein Tier zu erlegen oder eine andere wichtige Entscheidung fälle: der Vorgang braucht eine Art Sinnieren, ein gelassenes und beinahe absichtsloses Träumen. Denn lebenswichtige Entscheidungen wollen wohl bedacht sein.
Wer oder was bestimmt, wie lange Sie warten? Wie begrenzen Sie es?
Rübner: Die Zeit in der Natur ist am ehesten durch das Licht begrenzt: Wenn ich nicht mehr genau erkennen kann, was sich bewegt, gehe ich nach Hause. Daher bin ich im Sommer länger draußen als im Rest des Jahres. Wenn ich "raus" will, hat das höchste Priorität und ich verschiebe andere Aktivitäten. Ich versuche, die Konsequenzen meiner Entscheidungen für mich persönlich verantwortbar zu machen. Wenn ich verantworten kann, was ich tue, dann handele ich.
Die schönsten Augenblicke bei der Berufsarbeit sind solche, in denen es gelingt, die Verbindung zwischen dem Unbewussten in der Gegenwart und dem Konflikt in der Vergangenheit mit dem Beziehungsgeschehen im Raum zu finden. Dann fördert die Deutung den Reifungsprozess und die Therapie gelingt.
Bei der Jagd setze ich dem Warten ebenfalls eine Grenze durch meine Entscheidung: Will ich dieses Tier essen, oder möchte ich es nicht essen?
Würden Sie das Warten gerne verkürzen, wenn Sie könnten – oder gerade nicht?
Rübner: Nein, ich möchte mein geduldiges Abwarten nicht verkürzen, gerade dann nicht, wenn ich Gier spüre.
Beim Warten: Vertreiben Sie (sich) die Zeit – oder nutzen Sie sie?
Rübner: Ja, ich nutze sie: Ich träume, das ist ein kontemplativer Vorgang. Ich sage mir auch Gedichte auf, zuweilen habe ich einen Zettel bei mir, um ein neues Gedicht zu lernen. Das macht mir viel Freude.
Lohnt es sich?
Rübner: Sehr!
Worauf kommt es an, damit Sie das Gefühl haben, Sie warten nicht umsonst?
Rübner: Ich möchte mich eigentlich frei machen von der Erwartung von etwas Bestimmtem. Daher warte ich nicht umsonst, sondern mit Gelassenheit.
Kann das Warten schief gehen?
Rübner: Ja, wenn ich Sorgen habe.
Welche Eigenschaft ist am wichtigsten, um erfolgreich warten zu können?
Rübner: Mit mir selber gut auskommen zu können.
Lassen Sie auch andere warten?
Rübner: Selten.
Welche Rolle spielt Ihrer Meinung nach die "Erwartung" beim Warten?
Rübner: Wenn etwas Spezifisches, ein "Genau das!" erwartet wird, scheitert das Warten leicht, scheint mir. Wenn wir abwarten, was wohl geschehen mag, dann ist es viel leichter, in Ruhe zu bleiben.