Lebensrealität als Dauerbrenner
Die ARD-Serie «Lindenstraße» wird 30 Jahre alt
1985 sagte die Fernsehkritik der Serie ein schnelles Ende voraus, doch nun feiert die «Lindenstraße» ihr 30-jähriges Bestehen. Zum Jubiläum wagen die Macher ein Experiment: Die Folge am 6. Dezember wird live im Ersten gesendet.
04.12.2015
epd
Michael Ridder (epd)

Frankfurt a.M. (epd)Die zeitgenössische Kritik war entsetzt. "Dürftig und schlecht gemacht", urteilte etwa der Fachdienst "epd / Kirche und Rundfunk" über die erste Folge der "Lindenstraße", die am 8. Dezember 1985 ausgestrahlt wurde. Das Blatt rügte die ARD-Serie als "Sozialkitsch" auf handwerklich niedrigem Niveau und prophezeite ihr ein baldiges Ende. Ähnlich fielen damals fast alle Kritiken aus. Doch es kam anders: In diesem Jahr feiert die "Lindenstraße" am 6. Dezember mit Folge 1.559 ihren 30. Geburtstag.

Die "Lindenstraße" ist die mit Abstand älteste Dauerserie im deutschen Fernsehen. In ihrer Frühzeit lockte sie mit den Spannung erzeugenden "Cliffhangern" am Ende jeder Folge mehr als zehn Millionen Zuschauer an. Heute schalten nur noch zweieinhalb bis drei Millionen Menschen ein, wenn am Sonntag um 18.50 Uhr die berühmte, von Jürgen Knieper komponierte Titelmelodie erklingt - mit dem dramatischen Crescendo gleich zu Beginn, das sich dann plötzlich in walzerhaftes Wohlgefallen auflöst.

Die Dramen des Lebens

Die stark gesunkenen Quoten geben immer wieder Gerüchten Nahrung, dass die Serie eingestellt werden könnte. Anfang 2014 beschlossen die Programmdirektoren der ARD, dass die "Lindenstraße" bis mindestens Ende 2016 weiterlaufen soll. "Wir werden alles tun, dass die 'Lindenstraße' spannend und aktuell bleibt", versprach Erfinder und Produzent Hans W. Geißendörfer (74), dessen Tochter Hana seit einiger Zeit Koproduzentin der Serie ist. Zuvor hatte sie bereits Drehbücher für die "Lindenstraße" verfasst.

Im Mikrokosmos der fiktiven Straße spielen sich sämtliche großen und kleinen Dramen ab, die das Leben zu bieten hat: Hochzeit und Scheidung, Geburt und Tod, Krankheit, Behinderung, Arbeitslosigkeit, Ehebruch, Vatermord, Verwerfungen durch Krieg oder politischen Extremismus. Im Gegensatz zu den glatten Seifenopern des Privatfernsehens will die "Lindenstraße" dabei Lebensrealität transportieren und zum Nachdenken über aktuelle politische Themen anregen. Dass dies zuweilen auf recht steife Weise geschieht, ruft immer wieder Spötter auf den Plan.

Für Aufreger gut

Die Serie hat sich im Laufe der Zeit durchaus verändert. Viel stärker als früher arbeiten die Regisseure mit formalen Gestaltungsmitteln, etwa seit der Jahrtausendwende gibt es auch Schauplätze außerhalb des "Lindenstraße"-Areals. Inhaltlich kann sie nicht mehr so provozieren wie in den 80er Jahren, als der CSU-Politiker Peter Gauweiler Strafanzeige wegen Beleidigung stellte. Aber die Serie ist weiterhin für Aufreger gut: Als sich im Sommer 2014 ein Moscheebau in der Lindenstraße abzeichnete, hagelte es Kritik in sozialen Netzwerken. Viele befürchteten eine "Rosarot"-Darstellung des Islam. Auch das kurzzeitige Comeback von Erzbösewicht Robert Engel wurde medial stark beachtet.

Für das Jubiläum am 6. Dezember haben sich die Macher etwas Besonderes ausgedacht. Die Folge mit dem Titel "Hinter der Tür" wird eine Livesendung und keine Aufzeichnung sein, sogar die Filmmusik wird live von Musikern eingespielt. Laut WDR-Ankündigung wird die Ausstrahlung multimedial vernetzt sein und von "zahlreichen Gimmicks" im Internet begleitet. Inhaltlich sei die Folge "voller Emotionen und dramatischer Entwicklungen", verrät der Sender - ein "langjähriger Nachbar" aus der Straße werde unerwartet sterben.