Das ZDF hat diese Geschichte schon vor zwei Jahren mit dem Drama "Blutgeld" erzählt: Dank eines neuen Medikaments konnte die Lebenserwartung von Menschen, die an der Bluterkrankheit litten, ab den frühen Siebzigern deutlich verlängert werden. Gut zehn Jahre später kam es zu einem der größten Pharmaskandale in der Geschichte der Bundesrepublik: Obwohl Politik, Ärzte und Pharmakonzerne wussten, dass das aus Blutplasma gewonnene Gerinnungsmittel ein potenzieller HIV-Virenträger war, wurden die entsprechenden Medikamente zunächst weiterhin vertrieben; weit über tausend Menschen haben sich auf diese Weise mit Aids infiziert.
Eva und Volker A. Zahn erzählen die Geschichte konsequent und ausschließlich aus Sicht eines Betroffenen, können aber gleichzeitig die skrupellose Perspektive der Pharmaindustrie schildern: Martin (Friedrich Mücke) ist Bluter und musste als Kind miterleben, wie sein Bruder nach einem Schwimmunfall an der Krankheit gestorben ist. Aus seiner Dankbarkeit für die Entdeckung des Medikaments hat er einen Beruf gemacht: Er leitet die Presseabteilung eines Unternehmens, dass das Gerinnungsmittel herstellt. Als in Berichten aus Amerika erstmals der Begriff Aids erwähnt wird und der Verdacht auftaucht, das Virus könne auch in dem aus Blutspenden gewonnenen Plasma enthalten sein, auf dem das Gerinnungsmittel basiert, sorgt er mit einem miesen Trick dafür, dass die Wortführerin (Bibiana Beglau) der deutschen Kritiker mundtot gemacht wird. Kurz erkrankt er selbst an Aids.
Tilmann P. Gangloff, Diplom-Journalist und regelmäßiges Mitglied der Jury für den Grimme-Preis, schreibt freiberuflich unter anderem für das Portal evangelisch.de täglich TV-Tipps und setzt sich auch für "epd medien" mit dem Fernsehen auseinander. Auszeichnung: 2023 Bert-Donnepp-Preis - Deutscher Preis für Medienpublizistik (des Vereins der Freunde des Adolf-Grimme-Preises).
Friedemann Fromm erzählt in seinen Filmen grundsätzlich Geschichten von Menschen, die an ihre Grenzen gehen müssen; oder, wie Martin, weit darüber hinaus. Der besondere Reiz der Dramaturgie liegt in diesem Fall im Wandel der Hauptfigur. Sympathieträger ist Martin von Anfang an. Aus seiner Sicht steht es völlig außer Frage, das Medikament zu verteidigen, das sein Leben rettet; und damit auch das Unternehmen, für das er arbeitet. Dass ihn das zum Täter macht, kann oder will er nicht ahnen. Allerdings weiß er auch noch nicht, dass sein Chef und väterlicher Freund (Uwe Kockisch) dank einer internen Studie längst über die Gefahren informiert ist und betroffenen Patienten Schweigegeld gezahlt hat. Aber dann wird Martin selbst zum Opfer und nun auch zum klassischen Helden, der den Kampf gegen übermächtige Gegner aufnimmt und sich dafür ausgerechnet mit jener Frau verbündet, deren Ansehen er kurz zuvor zerschmettert hat. Dass er seinen eigenen Kampf längst verloren hat, macht die Sache umso tragischer.
Das Drehbuch beschränkt sich allerdings nicht allein auf diese Ebene. Zunächst führt Martin ein vorbildlich harmonisches Leben an der Seite seiner Frau Sabine (Karoline Schuch); einzig der Streit um Nachwuchs trübt die Idylle, zumal Sabine ihn vor vollendete Tatsachen stellt. Großes Gewicht haben neben den Rückblenden in die gemeinsame Kindheit mit seinem Bruder auch die Szenen im Schwimmbad. Schwimmen ist im Grunde die einzige gefahrlose sportliche Aktivität, der Bluter nachgehen können. Entsprechend viel Zeit verbringt Martin im Wasser, meist gemeinsam mit seinem besten Freund (Hannes Wegener). Ohnehin spielen Flüssigkeiten eine große optische Rolle in Fromms Film. Immer wieder zeigt er ästhetisch reizvolle Zeitlupenstudien; Anton Klimas Kamera schwelgt geradezu in entsprechenden Aufnahmen vom Milchtropfen, der sich mit dem Kaffee vermischt oder vom Tee, der in der Kamme zieht. Das ist zwar schön anzuschauen, zeigt aber auch, wie schwierig es ist, dieses Thema zu bebildern, denn der Sachverhalt ist naturgemäß äußerst komplex und medizinisch kompliziert, weshalb es entsprechend viel Erklärungsbedarf gibt; da sind die Schmuckbilder ein willkommener Ausgleich.