In der Krippe gibt es eine Rollstuhlfahrerin, Punks, Motorradfahrer, Menschen aus anderen Ländern… und alle sind unterwegs zur Krippe. Wie kamen Sie auf diese unterschiedlichen Figuren?
Welche sind die wichtigsten Figuren in der Krippe? Wie immer: Maria, Josef und Jesus?
Wulf: Auf jeden Fall Maria, Josef und Jesus, weil ich denke, dass bei ihnen die unerkannte Mitte und Gegenwart Gottes ist. Wenn sich da unterschiedlichste Menschen treffen – die ich abgebildet habe, sind ja aus Ost und West und aus ganz unterschiedlichen Sozialisierungen – dann meine ich, dass ihr Umgang miteinander von dieser Mitte her bestimmt sein kann.
Ich sehe es doch richtig, dass Ihr Josef aus Afrika kommt…
Wulf: … Ja, und Maria ist eine Vietnamesin. Das kommt aus der Zeit vor der Wende. Da hatten wir hier in der DDR Gastarbeiter zum Beispiel aus afrikanischen Ländern und aus Vietnam. Sie haben hier gelernt oder studiert oder gearbeitet, und nach der Wende wurden sie schnellstens in ihre Heimatländer abgeschoben, ob sie wollten oder nicht. Wer blieb, hatte es schwer. Die meisten von uns waren es ja 40 Jahre lang überhaupt nicht gewöhnt, diesen Menschen nahe zu kommen, das war in der DDR so gut wie nicht möglich. Zu dieser Gruppe gehört auch der Hirte mit russischer Militärmütze auf dem Kopf. Wir haben erst Mitte der Neunziger Kontakt zu Menschen im Kasernenviertel gehabt, vorher bestand die deutsch-sowjetische Freundschaft nur zu offiziellen Anlässen. Unsere neuen Bekannten entpuppten sich als evangelische Christen. Weil sie so lange schweigen mussten, ruft der Hirte mit einer Geste aus der Gebärdensprache zur Krippe: "Gott ist nahe." Ich wollte einfach einen Denkanstoß geben: Kann es sein, dass Gott uns in unserer Zeit gerade in solchen Menschen nahe kommt – das wäre für mich: "Das Wort ward Fleisch und wohnte unter uns" – und dass wir das nicht immer gleich begreifen?
"Mir helfen solche Träume, den Mut nicht zu verlieren"
Sie haben einmal gesagt, Sie hätten mit der Krippe Ihren "Traum getöpfert" – was für ein Traum ist das?
Wulf: Das ist mein Traum von Integration durch Toleranz. Ich denke, dass zu allen Zeiten Angst ein schlechter Ratgeber ist, und Angst macht, was fremd ist. Wenn ich mich selber kaum kenne, wenn ich mich selber nicht anschaue, dann will ich zunächst einmal nicht riskieren, Fremdes zuzulassen. Ich muss mich also erst mal selber fragen: "Wer bin ich? Was glaube ich? Für welche Werte stehe ich?" Wenn ich das beantworten kann, kann ich auf andere zugehen und sie fragen: "Was glaubst du? Wer bist du? Für welche Werte stehst du?" Dann können wir schauen, wo die Unterschiede und die gemeinsamen Schnittmengen liegen und was wir gemeinsam tun können. Ich denke, dass die verborgene Nähe Gottes so eine Atmosphäre ermöglicht.
Ich freue zum Beispiel heute über Parchim: Hier gibt es ein Netzwerk, in dem sich viele Leute für Flüchtlinge engagieren: Sie helfen ganz praktisch, bieten Gespräche an und haben eine Begegnungsstätte eingerichtet. Das tut gut. Und ja: In Parchim gibt es auch heute Punks. Sie haben einen Verein gegründet und betreiben einen alternativen Jugendclub. Wenn sie nicht zufrieden sind, nutzen sie demokratische Wege und gehen zum Beispiel mit einer Anfrage zur Stadtvertreterversammlung. Sie verhandeln auf Augenhöhe und finden Gehör.
Ihre Krippe ist 15 Jahre alt. Trotzdem klingt alles, was Sie dazu sagen, ziemlich aktuell.
Wulf: Es war damals aktuell und es ist heute aktuell. Das hat mich selber überrascht. Es freut mich, dass die Krippe so in unsere Zeit passt, aber die Ursachen freuen mich natürlich nicht, sie machen mir Sorge. Es gibt kaum noch Zeitzeugen, die erzählen können oder wollen, wie die beiden vergangenen deutschen Diktaturen funktioniert haben. Wer es kann, soll es tun. Wir wollen keine Entwicklung wie 1933.
Wenn Sie heute noch Figuren dazu töpfern würden – welche wären das?
Wulf: Eigentlich, denke ich, ist alles gesagt. Wer sich selber wiederfinden will, der kann das. Es ist alles drin und Solidarität kann gelebt werden – gemeinsam für die noch Ärmeren und die ganz unterschiedlichen Lebensentwürfe, Christen und Nichtchristen, Arme und Reiche, Alte und Junge. Wenn ich doch noch was dazutun würde, dann würde ich diese Wutbürger darstellen mit dem Schild "Wir sind das Volk" und Menschen aus den '89ern mit dem Schild "Wir sind das Volk". Sie merken die unterschiedliche Betonung. Ich würde träumen, dass diese beiden Gruppen miteinander ins Gespräch kämen. Was meint jeder mit diesem Spruch? Für welche Werte stehen die Wutbürger tatsächlich? Was verstehen sie unter "Wahrung der christlichen Tradition in Deutschland"? Das ist für mich sehr diffus. Dann könnten die 89er, zu denen ich ja auch gehöre, erzählen, was sie meinen und warum sie keine Grenzen mehr wollen. Sie könnten nach gemeinsamen Schnittmengen suchen. Das setzt allerdings Gesprächsbereitschaft voraus, und da habe ich meine Zweifel. Aber mir helfen solche Träume, den Mut nicht zu verlieren.