Medienethikerin: Opfergedenken in sozialen Netzwerken sind übergriffig

Die Medienethikerin Petra Grimm appelliert an einen reflektierten Umgang mit Opfergedenken in sozialen Netzwerken:
20.11.2015
epd
Elisa Makowski (epd-Gespräch)

Frankfurt a.M. (epd)"Ausschlaggebend ist eine opferzentrierte Perspektive", sagte Grimm dem Evangelischen Pressedienst (epd). Es gebe sicherlich ein Bedürfnis, der Opfer in sozialen Netzwerken zu gedenken, aber manche Aufmachungen könne man als übergriffig empfinden, kritisierte Grimm, die zu Privatheit in Medien forscht. Es sei wichtig, sich zu fragen, was man selber wollte, wenn man Opfer wäre. Im Zweifel müssten die Angehörigen mit in die Entscheidung einbezogen werden.

Jedem Opfer ein Tweet

Anlass der Kritik ist ein Twitter-Account namens @ParisVictims, der der Opfer von Paris gedenkt. Jeder Tweet ist einer Person und ihrem Leben gewidmet. Zusätzlich zu einem Bild sind Name, Alter, Nationalität und Beruf genannt, zudem Kurz-Infos zu Leben und Persönlichkeit: "Nathalie Jardin, 31, France. Lighting designer. Little sister. Loved fruit salad. A 'strong character'", lautet zum Beispiel ein Tweet vom 18. November 2015 um 21.06 Uhr (Nathalie Jardin, 31, Französin. Lichtgestalterin. Kleine Schwester. Liebte Obstsalat. Ein "starker Charakter"). Unklar ist, ob die Angehörigen ihr Einverständnis zur Veröffentlichung gegeben haben und woher die Informationen stammen. Teilweise sind Zeitungsberichte und verschiedene Internetseiten als Quellen angegeben.

Die Opfer seien willkürlich ausgesucht und erführen durch die Sprüche eine Etikettierung, kritisierte Grimm. Dadurch entstehe ein bestimmtes Bild von den Opfern, das nicht legitimiert sei. "Das ist genauso wie wenn ein Fremder plötzlich entscheidet, was auf dem Grabstein eines Toten stehen soll." Außerdem gebe es auch aus journalistischer Perspektive kein öffentliches Interesse, die Opfer zu kennen. Die Veröffentlichung von Namen und Bildern verletze die Menschenwürde.

Knapp über 50.000 Follower

Der Twitter-Account @ParisVictims ist ein Projekt des britisch-amerikanischen Nachrichtenmagazins "Mashable" mit Sitz in New York City in den USA. "Mashable" hat den Fokus auf Nachrichten aus dem Bereich Soziale Medien, Technik und Arbeitsleben. Der erste Tweet wurde am 16. November um 17.54 Uhr abgesetzt - drei Tage nach den Terroranschlägen in Paris. Bis zum Freitagmittag waren 100 Tweets abrufbar und der Account hatte knapp 50.300 Follower. Viele Menschen drücken in der Kommentarfunktion ihr Mitgefühl aus.

Generell könne das Internet ein Ort für Trauer sein, aber die Angehörigen und Freunde sollten entscheiden können, wie der Opfer gedacht werde, fügte Grimm hinzu. Dies könne zum Beispiel eine persönliche Homepage sein, die dem Opfer gewidmet ist.