Frankfurt a.M. (epd)Sie stillen bis ins Kleinkindalter, tragen ihren Nachwuchs, statt ihn im Kinderwagen zu schieben und lassen Kinder mitentscheiden, was für sie gut ist. Beim Attachment Parenting - zu deutsch etwa bindungsorientierte Elternschaft - gehen Eltern intensiv auf die Bedürfnisse ihrer Babys und Kleinkinder ein und wollen so deren Persönlichkeit stärken. In Deutschland findet das Konzept Anhänger, aber es gibt auch kritische Stimmen.
Auf Mama ist Verlass
Sina Jacobsen und ihr Mann sind überzeugte Anhänger der Erziehungsmethode. Selbstverständlich schlafen die beiden Töchter, acht Monate und 2,5 Jahre alt, mit im Familienbett und werden so lange gestillt, wie sie es wollen. "Das ist für alle entspannter", sagt die 25-jährige Mutter aus Barmstedt bei Hamburg. Sie möchte ihren Kinder das Gefühl geben: Auf Mama ist Verlass. Die 25-Jährige ist überzeugt: "Wenn das Grundbedürfnis nach Nähe gestillt ist, können Kinder etwas Neues angehen. Wenn nicht, laufen sie ein Leben lang dem hinterher."
Doch je älter die Kinder werden, desto häufiger reagieren Außenstehende mit Unverständnis. Mit 16 Monaten noch stillen? Das reicht doch langsam! Du kannst deine Tochter doch nicht immer tragen! Ein Kind muss alleine einschlafen lernen! Das seien typische Äußerungen, die auch andere Eltern kennen würden.
Kinder als Partner und Freund
Die Angst, Kinder zu verwöhnen, sitze tief, bestätigt Frauke Ludwig aus Hamburg. In Kursen will sie Eltern Mut machen, uneingeschränkt für ihre Kleinen da zu sein. Je weniger Babys weinen, je feinfühliger Eltern auf deren Signale und Bedürfnisse reagieren, desto seelisch stabiler und selbstbewusster wachsen Kinder heran - das ist die Grundidee, die auf den US-amerikanischen Kinderarzt William Sears zurückgeht. Inzwischen folgen in Deutschland immer mehr Eltern diesem Konzept, das zeigen auch zahlreiche Blogs und Internetforen, in denen vor allem Mütter ihre Erfahrungen mit dem Attachment Parenting diskutieren.
Unbestritten ist: Kinder brauchen Bindungspersonen, um sich gut entwickeln zu können. "Das ist universell. Aber es gibt verschiedene Wege, wie das gestaltet wird, und große kulturelle Unterschiede, was unter sicherer Bindung verstanden wird", sagt Psychologin Ariane Gernhardt von der Universität Osnabrück. Deutsche Mittelschichteltern seien heute zunehmend um einen gleichberechtigten Erziehungsstil bemüht und sähen ihre Kinder eher als Partner und Freund. "Vor allem wollen sie, dass ihre Kinder glücklich sind und möchten ihnen negative Erfahrungen ersparen."
Allerdings könnten daraus auch Vorstellungen von guter Elternschaft entstehen, die am Ende weder für Erwachsene noch für Kinder gut seien, sagt Gernhardt. Für Kinder sei es zum Beispiel wichtig, zu lernen, mit schwierigen Situationen umzugehen.
Habe ich versagt?
Auch der Anspruch der Eltern, immer alles richtig machen zu wollen, sei belastend. So erlebe die Psychologin in der Elternsprechstunde, die die Universität Osnabrück anbietet, immer wieder erschöpfte und verzweifelte Mütter. "Oft sind das sehr gebildete Frauen, die viel lesen." Wenn es dann trotz guter Absichten Konflikte gibt oder Dinge nicht so laufen wie geplant, komme schnell die Frage: Habe ich versagt?
Nicht nur Kinder, auch Eltern haben Bedürfnisse - auf die sich Kinder mit zunehmendem Alter auch einstellen müssten, geben Kritiker zu bedenken. Gerade beim Attachment Parenting seien die Anforderungen an Eltern und speziell Mütter besonders hoch: Immer präsent sein, das schränke Frauen ein und dränge sie zurück in die traditionelle Frauenrolle.
Tatsächlich führe die zu perfektionistische Umsetzung von Attachment Parenting in der klassischen Kleinfamilien-Konstellation oft zum Burn-out, sagt die Attachment-Parenting-Befürworterin und Autorin Nicola Schmidt aus Berlin. "Wir Menschen sind einfach nicht dafür gemacht, ganz alleine ein Baby rund um die Uhr zu betreuen." Nicola Schmidt ermutigt Eltern darum in ihren Büchern, sich zusammen zu tun und gegenseitig zu unterstützen. Und sie plädiert dafür, das Erziehungskonzept nicht zu dogmatisch auszulegen.
Kein Patentrezept
"Kinder haben keine Knöpfe", sagt Schmidt und will damit deutlich machen, dass es kein Patentrezept gibt nach dem Motto: Wer seinen Nachwuchs zwei Jahre stillt oder im Tragetuch trägt, bekommt am Ende ein glückliches Kind. Viel entscheidender seien Geborgenheit und Vertrauen, das Kinder in ihre Eltern hätten. "Jede Familie muss dabei einen Weg finden, der zu ihr passt."