Dicht gedrängt schieben sich die Menschen über den Zentralmarkt in Kumasi, der zweitgrößten Stadt Ghanas. Erstaunlich schnell läuft Sua (Name geändert) durch die Menge. Auf ihrem Kopf trägt sie eine große Schale mit Maniok – die Wurzeln scheinen fast so schwer zu sein wie die 15-Jährige selbst. Sie transportiert Waren für Marktfrauen oder Käuferinnen. Zehn Cedi verdient sie an guten Tagen – umgerechnet keine 2 Euro und 50 Cent.
Suas großer Traum ist es, Krankenschwester zu werden. Reich wird sie mit diesem Beruf nicht. Aber er bietet ihr eine bessere Perspektive als die Farm ihrer Eltern 400 Kilometer nördlich von Kumasi. "Im Norden leben die ärmsten Menschen des Landes. Schon immer, sind einige von dort in den Süden gegangen", sagt Kingsley Ofei-Nkansah vom Economic Justice Network in Ghana. "Die Klimaveränderungen verstärken die Armut. Für die Menschen wird es schwieriger, ihr Leben zu bestreiten. Sie verlassen ihre Heimat, weil sie auf eine bessere Zukunft hoffen." Er schätzt, dass es inzwischen Zehntausende sind.
Viele arbeiten wie Sua als Trägerinnen auf den Märkten der großen Städte. "Das Leben hier ist nicht besser", sagt die 15-Jährige. Oft werde sie um ihren Lohn geprellt und müsse sich hungrig schlafen legen. Solche Entwicklungen seien typisch, sagt Sophia Wirsching von "Brot für die Welt": "Meistens ziehen die Menschen von einer prekären Situation in die andere."
Weltweit haben seit 2008 pro Jahr durchschnittlich 25 Millionen Menschen wegen Umweltkatastrophen ihre Heimat verlassen. Dazu zählen Erdbeben und Tsunamis genauso wie Stürme, Überflutungen und Dürren. "Man kann nicht immer gut differenzieren, was reguläre Wetterkatastrophen und was Folgen des Klimawandels sind", sagt Sophia Wirsching. Doch mit der rasant steigenden Erderwärmung nehmen auch die Unwetter zu, darin sind sich Experten einig. "Klimawandel führt zu Migration, das ist kein Zukunftsszenario, sondern findet bereits statt", sagt Susanne Melde von der International Organization for Migration.
In Ghana habe es immer schon Dürren und Überschwemmungen gegeben, erzählt Ofei-Nkansah. Doch sie hätten zugenommen, seien unberechenbarer geworden. "Die Landwirte können ihre Ernte nicht mehr so planen, sie fahren schlechtere Ergebnisse ein", ergänzt er. Ofei-Nkansah glaubt, dass bessere Wassersysteme helfen würden. Doch den meisten Farmern fehlt das Geld für solche Investitionen. Suas Eltern konnten sich nicht einmal mehr die Schulgebühren für die Tochter leisten.
Zwei Jahre ist sie nun schon in Kumasi, um Geld für die Schule zu sparen. Jeden Tag arbeitet sie auf dem Markt. Doch ihr Lohn reicht nicht einmal für einen sicheren Schlafplatz. Wie fast alle Trägerinnen ist Sua obdachlos. Sie schläft am Rand des Zentralmarktes auf Treppen oder in Hauseingängen. Ihre Schale wird dann zum Bett. Regnet es, wird sie zum Dach. "Manchmal kommen nachts Tiere, koten und urinieren auf uns. Manchmal stören Männer in der Nacht", erzählt sie. "Die Mädchen können nirgendwo hingehen und haben niemanden, der ihnen hilft. Oft sind sie Opfer sexuellen Missbrauchs", sagt Ofei-Nkansah. Viele Mädchen auf dem Markt sind schwanger. Der Vater ihres ungeborenen Kindes sei ihr Freund, erzählt Sua. Allerdings wisse sie nicht, wo er sei und ob er überhaupt noch lebe.
"Durch den Klimawandel werden Menschenrechte eingeschränkt", kritisiert Sophia Wirsching. Das Recht auf Wasser, auf Wohnen und auf Nahrung sei betroffen, aber auch das fundamentale Recht auf Leben. "Es gibt die Prognose, dass mindestens 500 Millionen Menschen bis zur Mitte des Jahrhunderts ihre Heimat verlieren. All diesen Menschen wird dann die Chance auf Entwicklung genommen", sagt sie. Viele werden wie Sua ihr zu Hause verlieren, weil Umweltkatastrophen und Klimaveränderungen ihnen die wirtschaftliche Basis nehmen, andere müssen umsiedeln, weil der steigende Meeresspiegel ihnen ihre Heimat nimmt.
"Solche Umsiedlungen sind kostspielig", sagt Susanne Melde. "Das sollte auf der Klimakonferenz in Paris ein Thema sein und nicht nur die Frage, wie man die CO2-Emission reduzieren kann. Es muss auch um die Folgen gehen." Für Sophia Wirsching ergibt sich ein ethischer Imperativ: "Die Staaten, die den Klimawandel vor allem zu verantworten haben, sollten den Menschen helfen, die darunter zu leiden haben", fordert sie.
Von all diesen Diskussionen bekommt Sua wenig mit. Vom Klimawandel hat sie noch nicht gehört. Auch am nächsten Tag wird sie Waren fremder Leute über den Markt tragen und hoffen, dass sie eines Tages das Geld für die Schule hat, um doch noch Krankenschwester zu werden.