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Wie sind die Textstellen im Koran, die zu Gewalt aufrufen, zu lesen? Darüber gibt es verschiedene Auslegungen.
Was hat der Islam mit Gewalt zu tun?

Experten in Deutschland geben unterschiedliche Antworten, was der Islam mit Gewalt zu tun hat.
17.11.2015
epd
Wiebke Rannenberg (epd)

Frankfurt a.M. (epd)Nach islamistischen Anschlägen taucht immer wieder die Frage auf, ob sich die Terroristen mit Recht auf den Islam und den Koran berufen oder nicht. So auch jetzt nach der Terrorserie in Paris. Während es in mancher Diskussion heißt, der Islam habe mit Gewalt nichts zu tun, bezeichnen einige Kritiker den Islam als grundsätzlich gewalttätig. Differenzierter wird die Diskussion auf theologischer Ebene geführt: Es gebe durchaus Stellen im Koran, die Gewalt propagierten, diese müssten aber im historischen Zusammenhang gelesen werden, lautet der Tenor.

Massaker, Unterdrückung und Kriegszüge

In Deutschland wurde die Diskussion in den vergangenen Monaten durch ein Buch des Publizisten Hamed Abdel-Samad befeuert. In "Mohamed. Eine Abrechnung" beschreibt der Politikwissenschaftler den Islam als eine Religion, deren Grundlage die Gewalt ist, weil ihr Prophet seinen Erfolg nur mit Hilfe von Massakern, Unterdrückung und Kriegszügen habe erreichen können. "Die letzten Suren des Korans legten mit ihrer Kriegsverherrlichung und Verdammung der Ungläubigen die Saat der Intoleranz, die bis heute fatale Auswirkungen hat", schreibt Abdel-Samad im Vorwort. Die Terrormiliz "Islamischer Staat" sei "ein legitimes Kind von Mohamed, seinem Werk und seinen Aussagen", sagte er kürzlich in einem Streitgespräch mit dem islamischen Theologen Mouhanad Khorchide in der Zeitschrift "Herder Korrespondenz".

Ähnlich argumentierte zu Beginn des Jahres kurz nach den Anschlägen auf das Satiremagazin "Charlie Hebdo" und einen jüdischen Supermarkt in Paris auch der islamische Theologe Abdel-Hakim Ourghi: "Das Phänomen der Gewalt zieht sich durch die ganze Frühgeschichte des Islam", schrieb er in einem Beitrag für die "Süddeutsche Zeitung" und forderte dazu auf, die historischen Wurzeln religiöser Grausamkeiten stärker zu benennen.

Historisch-kritische Methode in der Auslegung des Korans

Auch der islamische Theologe Mouhanad Khorchide bestreitet nicht, dass es im Koran gewalttätige Passagen gibt. Es mache "keinen Sinn zu sagen, der Islam habe nichts mit Gewalt zu tun", sagte der Leiter des Zentrums für Islamische Theologie an der Universität Münster in dem Streitgespräch mit Abdel-Samad.

Doch diese Passagen müssen Khorchides Ansicht nach, ähnlich wie die Gewaltstellen in der Bibel, in ihrem historischen Kontext gedeutet werden. So berufen sich laut Khorchide zum Beispiel diejenigen, die im Dschihad einen Verteidigungskrieg sähen, auf dieselben Verse im Koran wie die, die im Dschihad einen Angriffskrieg gegen Nicht-Muslime sähen, sagte er: "Daher brauchen wir klare Kriterien, damit wir nicht beliebig selektieren und sich jeder die Verse beziehungsweise die Interpretationen heraussucht, die gerade in sein Konzept passen."

Khorchides neues Buch "Gott glaubt an den Menschen" trägt den Untertitel "Mit dem Islam zu einem neuen Humanismus". Er ist Mitbegründer des Muslimischen Forums Deutschland, in dem sich im März Wissenschaftler und Autoren zusammengeschlossen haben. In den "Berliner Thesen" des Forums heißt es: "Toleranz gegenüber gewalttätigen Fanatikern ist inakzeptabel." Zudem wird auch dort zu einer historisch-kritischen Methode in der Auslegung des Korans aufgerufen.