"Coventry - Stadt des Friedens und der Versöhnung" steht auf einem Schild am Ortseingang der zehntgrößten Stadt Englands. Seit dem Zweiten Weltkrieg ist die Stadt in den West Midlands zum Symbol für Aussöhnung geworden.
Alles begann vor 75 Jahren: In der Nacht vom 14. auf den 15. November 1940 flog die deutsche Luftwaffe in Coventry den schwersten Angriff auf eine britische Stadt. Große Teile des Zentrums wurden zerstört, auch die Kathedrale aus dem 14. Jahrhundert. Nur die Außenmauern standen noch. Mehr als 550 Menschen starben durch den "Coventry Blitz", wie die Briten ihn nannten. Die deutsche Propaganda sprach fortan zynisch davon, die britischen Städte zu "coventrisieren".
Und dennoch rief der damalige Dompropst von Coventry, Richard Howard, Weihnachten 1940 in einer Rundfunkübertragung aus den Ruinen der St.-Michaels-Kathedrale zur Versöhnung auf. In der zerbombten Kathedrale ließ Howard die Worte "Father forgive" ("Vater vergib") einmeißeln. Aus drei mittelalterlichen Zimmermannsnägeln aus der zerstörten Kirche wurde ein Kreuz zusammengefügt: ein Nagel-Kreuz.
Howard gründete ein Netzwerk für Frieden und Versöhnung - aus dem 1974 die internationale Nagelkreuzgemeinschaft wurde. Als Symbol für den Frieden wurden Nagelkreuze nach Kiel, Dresden, Berlin und in viele andere im Krieg zerstörte Städte gebracht. Zu dem Versöhnungswerk gehören heute Gemeinschaften auf der ganzen Welt, in Deutschland etwa die KZ-Gedenkstätte Dachau, die Dresdner Frauenkirche oder die Gedächtniskirche in Berlin.
Dinge aus einer anderen Perspektive sehen
Heute ist auch in Coventry selbst praktische Friedensarbeit im kirchlichen Leben der Stadt fest verankert. Dabei geht es nicht immer um Konflikte von internationalem Interesse. Man hat sich zur Aufgabe gemacht, Versöhnung in allen Lebensbereichen zu fördern: "Wir helfen Menschen, Dinge aus einer anderen Perspektive zu sehen", sagt Dompropst John Witcombe.
Viele Besucher inspiriere die Geschichte des Versöhnungsaufrufs während des Zweiten Weltkriegs so kurz nach einem schweren Luftangriff. "Wir bringen Konfliktparteien zusammen und leisten praktische Arbeit", beschreibt er.
Fragt man Witcombe nach seiner erfolgreichsten Versöhnungsarbeit der vergangenen Jahre, erhält man eine sehr weltliche Antwort. Er habe den örtlichen Fußballverein, Coventry City, wieder zurück ins lokale Stadion gebracht. Mehr als ein Jahr lang musste der Verein in einer Nachbarstadt spielen. Der neue Besitzer des Vereins, ein privater Hedgefonds, und die Stadt konnten sich nicht über Mietzahlungen für die Stadionnutzung einig werden.
Nach drei Monaten Vermittlungsarbeit des Kirchenmannes wurde endlich eine Einigung erzielt. "Ich habe sie einfach an einen Tisch gebracht und irgendwann haben alle zugestimmt, dass das zu schaffen sei", sagt John Witcombe. Dabei habe ihn zuvor fast jeder davor gewarnt, sich in Fußballgeschäfte einzumischen.
Dialog anstoßen, Menschen an einen Tisch bringen
Aber nicht immer geht es um so Weltliches wie den Fußball. Das Versöhnungszentrum hat auch bei der Klärung interreligiöser Auseinandersetzungen geholfen, indem es Gespräche zwischen Christen und Muslimen in Gang brachte. Und als die Kirche von England um die Frage der Bischofsweihe von Frauen stritt, war das Zentrum ebenfalls an der Lösung beteiligt: Seit 2014 können Frauen auch Bischöfinnen werden.
Oft geht es bei Versöhnungsarbeit genau darum: den Dialog anstoßen, Menschen an einen Tisch bringen. "Deshalb ist uns Gastfreundschaft in Coventry auch ganz wichtig", sagt John Witcombe. Die Kathedrale sei dafür der optimale Rahmen. Denn sie biete viel Raum, der eine Wirkung auf die Besucher habe - ganz gleich, weswegen sie nach Coventry gekommen seien und welchen Glauben sie hätten.
Nach dem Krieg wurde entschieden, die Ruine zu erhalten und unmittelbar daneben eine neue Kathedrale zu errichten. Sie wurde 1962 eingeweiht. Die Ruinen der alten Kathedrale unter freiem Himmel wirken noch heute als Mahnmal gegen Krieg und lassen erahnen, welches Ausmaß der Zerstörung die Stadt erleiden musste und wie groß der Schritt hin zur Versöhnung gewesen sein muss.
Für die Gastfreundschaft im Versöhnungszentrum sorgen nicht zuletzt die Freiwilligen aus verschiedenen Ländern. Die 18-Jährige Ricarda Fillhardt kommt aus Deutschland und ist mit der Organisation "Aktion Sühnezeichen Friedensdienste" in Coventry. Sie wollte nach dem Abitur nach England. "Aber ich wollte etwas machen, was nicht nur für mich gut ist", sagt sie. Deshalb habe sie sich für den Friedensdienst in Coventry entschieden, lebt mit Freiwilligen aus verschiedenen Ländern in einer WG.
Ein Beitrag zur Friedensarbeit
Sie hält Kontakt nach Deutschland, organisiert Besuche, dolmetscht für deutsche Besuchergruppen und empfängt Gäste. "Die Person, die die Gäste als erstes begrüßt, ist enorm wichtig", sagt auch Richarda Fillhardt, die aus dem hessischen Walluf kommt. Mit der Begrüßung werde bereits eine Atmosphäre geschaffen, die den Versöhnungsprozess fördere, ist die junge Frau überzeugt. So könne auch sie einen Beitrag zur Friedensarbeit leisten.