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Nicht nur Frauen werden in Beziehungen Opfer von Gewalt.
Kranke Liebe: «Für mich sind Schläge und Beleidigungen normal»
Warum Menschen an Partnern festhalten, die sie demütigen
Die Frau, die in ihrer Ehe geschlagen wird und trotzdem bleibt. Der Mann, dessen Frau ihn aufs Ärgste beschimpft, missachtet und der alles entschuldigt. Warum sind Menschen Partnern treu, die sie demütigen?
13.11.2015
epd
Insa van den Berg (epd)

Leipzig (epd)Sabrina hat sich verliebt - in Jens, einen selbstbewussten, willensstarken Mann, der ihr nicht gut tun wird, wie sie später merkt (Namen geändert). Weil er sie unablässig kontrolliert. Er will wissen, wohin sie geht. Er schreibt vor, was und wie viel sie essen darf. Er ruft an, wenn sie arbeitet. Im Minutentakt. Selbst bei Kunden der Firma. Die damalige Assistentin der Geschäftsführung verliert so ihren Job. Sabrina bleibt bei ihm, weil Jens mit Selbstmord droht, sollte sie ihn verlassen. Sie erträgt auch die körperlichen Schläge. Sie wird krank, entwickelt Essstörungen, Verfolgungswahn, hat Nervenzusammenbrüche.

Fehlende Erinnerung

Psychologen sprechen in Sabrinas Fall von einer dissoziativen Traumafolgestörung. Dissoziationen sind auch bekannt als Alltags-Trance, wenn Menschen sich während einer langweiligen Konferenz gedanklich ausklinken, um über das Abendessen nachzudenken. Das Abschalten dient dazu, mit Reizüberflutung zurechtzukommen. Solange die Dissoziation bewusst gesteuert werden kann, ist alles in Ordnung. Erst wenn man nicht-willentlich in diesen Zustand abgleitet, handelt es sich um eine Krankheit.

Es gibt widersprüchliche Angaben, wie viele Menschen mit einer dissoziativen Störung leben. Denn das Krankheitsbild geht oft mit anderen einher und ist schwer abzugrenzen. Laut der Weltgesundheitsorganisation WHO kann die Störung verschiedene Erscheinungsformen haben: Patienten spüren ihren Körper nicht mehr; der Raum, in dem sie sich befinden, kommt ihnen plötzlich fremd vor; ihnen fehlen Erinnerungen.

Auslöser der Krankheit sind traumatisierende Erlebnisse wie Vergewaltigungen, Schläge, auch emotionale Gewalt im Kindesalter. Es sind die ersten Lebensjahre, in denen Kinder durch ihre Prägung lernen, was gut und was schlecht für sie ist. Unter dem Einfluss von körperlicher oder seelischer Gewalt verstärkt sich dieses Verinnerlichen, sagen Bindungsforscher.

Alte Muster wiedererkannt

Sabrina ist mit einer Mutter groß geworden, die von einer Beziehung in die nächste stolperte. Wenn eine scheiterte, war es in den Augen ihrer Tochter stets die Schuld. Und so wurde das kleine Mädchen mit Nicht-Achtung gestraft. Sabrina entwickelte Schuldgefühle und Verlustangst. "Ein solches Leben ist für mich normal. Die Prägung durch meine hochgradig gestörte Mutter hat verursacht, dass ich falsche Werte abgespeichert und diese als Idealbild im Leben genutzt habe", reflektiert sie heute. Mit der Folge, dass für Sabrina auch in einer Partnerschaft Missachtung und Anschuldigungen dazugehörten.

Traumatisierte Menschen würden oftmals Partner suchen, bei denen sie alte Muster wiedererkennen, sagt der Psychiater und Psychotherapeut Jochen Peichl aus Nürnberg. Diese vertrauten, wenngleich herabwürdigenden Verhaltensweisen vermitteln ihnen vermeintliche Sicherheit.

Von Jens getrennt hat Sabrina sich mit einem Ruck. Sie setzte sich ins Auto und brauste davon, weil sie mit einem Mal die Erkenntnis packte: "Wenn du jetzt nicht fährst, stirbst du."

Hilfe durch Traumatherapie

Inzwischen steht Sabrina vor einem Neuanfang. Den verdankt sie einer zweijährigen, tiefenpsychologisch fundierten Therapie, meint sie. "Mit Medikamenten und Verhaltenstherapie ist zuvor nur an der Oberfläche gekratzt worden. Die tatsächlichen Ursachen für mein Problem in der Tiefe sind nicht aufgedeckt worden."

Das bestätigt Ralf Vogt, psychologischer Psychotherapeut aus Leipzig. "Bisher meinte man, die Behandlung funktioniere über die Einsicht des Patienten, die Situation ändern zu wollen." Eine Verhaltenstherapie oder Psychoanalyse sei aber wenig erfolgreich, da es ein nicht bewusstseinsfähiges Gedächtnis gebe, das über den Verstand nicht erreichbar sei. Traumaforscher empfehlen deshalb Methoden, die dieses Unbewusstsein ansprechen - wie die tiefenpsychologisch fundierte Therapie.

Sabrina scheint so ihren Weg aus dem Teufelskreis gefunden zu haben. Wenn sie nun jemand kennenlernt, "erkenne ich bald, was mir nicht gut tut. Heute weiß ich, dass ich mein Gegenüber nicht ändern kann, nur mich selbst."