Frankfurt a.M. (epd)Von einem der Bilder hatte Chan-jo Jun wochenlang Alpträume: Ein kleines Mädchen ist darauf zu sehen, geköpft. Der "Islamische Staat" soll die Aufnahme gemacht haben. "Dieses Bild ist sehr oft auf Facebook zu sehen", sagt Jun. Der rechtlichen Einschätzung des Würzburger Anwalts zufolge verstößt das Bild gegen Paragraf 131 des Strafgesetzbuches, weil es explizite Gewalt zeigt. Zigfach hat Jun Facebook das Bild gemeldet - ohne dass Facebook es gelöscht hätte. "Vielleicht will Facebook die Nutzer nicht verlieren, die das Bild teilen", sagt Jun.
Könnte Präzedenzfall werden
Seit den Sommerferien meldet Jun Bilder, Beiträge und Autoren an Facebook, die rechtsverletzenden Inhalt haben oder haben könnten: Darunter fallen Homophobie, Volksverhetzung, Verleumdung oder Gewaltdarstellungen. Insgesamt geht es um 200 Einträge. Fast jedes Mal bekommt Jun den selben Hinweis von offizieller Seite: Der Inhalt des Beitrages verstoße nicht gegen die Gemeinschaftsstandards von Facebook. Eine Löschung bleibe in den allermeisten Fällen aus.
Auch deshalb hat Jun jetzt gegen vier Manager von Facebook, darunter der Nordeuropa-Chef Martin Ott, Strafanzeige gestellt. Die Staatsanwaltschaft Hamburg hat Ermittlungen eingeleitet und die Anzeigen zur Prüfung an das Landeskriminalamt geschickt. Sollten die zuständigen Stellen tatsächlich genügend Anhaltspunkte für eine Anklage finden und schließlich die Verantwortlichen verurteilt werden, wäre das ein Präzedenzfall, sagt der Kölner Medienrechtler Christian Solmecke.
In Deutschland ist ein Plattformbetreiber wie Facebook nicht verantwortlich für die Beiträge seiner Nutzer, solange der Betreiber keine Kenntnis über den Inhalt der Postings hat. Sobald jedoch ein Beitrag mit rechtsverletzendem Inhalt Facebook gemeldet ist, muss der Plattformbetreiber die Beiträge auf ihren strafrechtlichen Inhalt hin prüfen und gegebenenfalls löschen - so besagt es das "notice-and-take-down-Verfahren". "Löscht Facebook dann nicht, haftet es für strafrechtlich relevante Beiträge." Doch um Ott wegen Beihilfe zu Volksverhetzung anzuklagen, müsse ihm nachgewiesen werden, dass er über jeden einzelnen Beitrag Kenntnis gehabt und dennoch nicht veranlasst habe, sie zu löschen, sagt Solmecke.
"Wir werden verschaukelt"
Auf Anfrage des Evangelischen Pressedienstes ließ Facebook über eine Agentur mitteilen: "Wir können sagen, dass die Anschuldigungen einer Grundlage entbehren und kein Verstoß gegen deutsches Recht von Facebook oder den Mitarbeitern vorliegt." Grundsätzlich gebe es verschiedene Wege, Inhalte auf Facebook zu melden. "Wir appellieren an die Menschen, unsere Meldeprozesse zu nutzen, wenn sie Inhalte finden, die ihrer Meinung nach gegen die Richtlinien verstoßen."
Für Jun geht das an der Sache vorbei: Das Problem sei ja nicht, dass man Hasskommentare nicht melden könne, sondern dass Facebook sie nicht lösche - auch wenn sie nach seiner Einschätzung einen Straftatbestand erfüllen. "Facebook will deutsches Recht nicht beachten. Da werden wir verschaukelt im Augenblick", erklärt der Jurist.
Facebook hat einem am Mittwoch veröffentlichten Bericht zufolge in den ersten sechs Monaten 2015 188 Beiträge in Deutschland gesperrt, die gegen deutsches Recht verstoßen haben. Dabei handelte es sich um Hasskommentare und Leugnungen des Holocausts. Facebook reagierte damit ausschließlich auf Anfrage von Vollzugsbehörden oder auf Hinweise von nichtstaatlichen Stellen, nicht aber von privaten Nutzern. Im zweiten Halbjahr 2014 hatte das soziale Netzwerk nach eigenen Angaben 60 Einträge in Deutschland gesperrt.
Andere helfen in Flüchtlingszentren
Erst kürzlich hatte Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD) zusammen mit Facebook, Twitter, Google und zivilgesellschaftlichen Beschwerdestellen eine Arbeitsgruppe ins Leben gerufen, um besser und schneller gegen Beiträge mit strafrechtlich relevantem Inhalt vorzugehen. Dennoch könne das Bundesjustizministerium von Facebook keine Frist zur Löschung von Hasskommentaren verlangen, sagte ein Pressesprecher des Bundesjustizministeriums, kurz nachdem Jun die erste Anzeige gestellt hatte.
Bis dahin bleibt Jun dran: Jeden einzelnen Beitrag hat er in einer Excel-Tabelle aufgelistet, in der er vermerkt, ob der Beitrag gelöscht wurde und wer dessen Autor ist. Warum gibt er sich diese Mühe? "Weil es kein anderer macht. Andere helfen in Flüchtlingszentren, ich bin Anwalt, damit kenne ich mich aus."