Doch schon sein jüngster "Tatort" aus Dortmund ("Kollaps") fiel aus dem Rahmen: weil sich die Geschichte zwischen der eigentlichen Handlung und dem Privatleben der Kommissare verzettelte. Natürlich ist derlei in erster Linie Sache des Drehbuchs, aber Regisseure erarbeiten sich ja ihre eigene Regiefassung. Die persönliche Ebene ist immer dann reizvoll, wenn sie die Ermittlungen widerspiegelt; davon kann auch diesmal jedoch keine Rede sein. Dass sich der kleine Sohn von Nina Rubin (Meret Becker) entschließt, jüdischen Religionsunterricht zu nehmen, mag ja ein interessantes Detail sein, ist für die Geschichte aber ebenso unerheblich wie der nächtliche Versöhnungssex der Kommissarin mit ihrem Mann im Auto. Und dass ihr Kollege Robert Karow (Mark Waschke) in einer Kneipe einen Kerl aufgabelt, wirkt ein wenig, als wolle der verantwortliche RBB auftrumpfen: Seht her, wir trauen uns einen schwulen Kommissar im "Tatort"!
Nebenebenen stehen Handlung im Weg
All’ das wäre ja nicht weiter der Rede wert, wenn die Nebenebenen nicht der Handlung im Weg stünden, denn die ist schon undurchschaubar genug. Genau genommen erzählen Stephan Wagner, Regisseur des ersten Films, und Koautor Mark Monheim gleich zwei Geschichten: Auf einem Baugrundstück wird ein Fass mit Schwefelsäure entdeckt; und in der Säure die Reste eines Menschen. Wo eine Leiche versteckt ist, können auch zwei sein, und tatsächlich wird ein weiterer Toter gefunden. Beim zweiten Mann waren die Umstände des gewaltsamen Ablebens allerdings ganz anderer Natur: Er ist erschossen worden. Es könnte also Zufall sein, dass sich die beiden ihre letzte Ruhestätte teilen.
Tilmann P. Gangloff, Diplom-Journalist und regelmäßiges Mitglied der Jury für den Grimme-Preis, schreibt freiberuflich unter anderem für das Portal evangelisch.de täglich TV-Tipps und setzt sich auch für "epd medien" mit dem Fernsehen auseinander. Auszeichnung: 2023 Bert-Donnepp-Preis - Deutscher Preis für Medienpublizistik (des Vereins der Freunde des Adolf-Grimme-Preises).
Das ist als Ausgangspunkt schon mal vergleichsweise originell, zumal Krimis in der Regel andersrum funktionieren: Es gibt zwar zwei völlig unterschiedliche Schauplätze, aber schließlich stellt sich raus, dass die beiden Taten zusammengehören. Hier kommt noch ein brisanter Faktor dazu: Die Waffe, mit der der zweite Mann erschossen worden ist, spielte bereits in einem anderen Zusammenhang eine Rolle. Die entsprechende Akte ist vertraulich, aber Rubin findet raus, dass dieser Vorgang ihren Kollegen betrifft; und damit knüpft "Ätzend" an den ersten Film an, denn gegen Karow läuft nach wie vor ein Verfahren. Dies sowie das tiefe Misstrauen von Rubin, die ihren neuen Mitarbeiter und dessen ständige Alleingänge ohnehin nicht mag, ist der Zusammenarbeit naturgemäß nicht zuträglich, bereichert die Geschichte aber erheblich. Trotzdem drängelt sich gewissermaßen die Fassleiche in den Vordergrund, denn die entsprechende Recherche beschert dem Team ein Drama, in dem es um verzweifelte Flüchtlinge geht.
Und so ist "Ätzend" unterm Strich ein Film, der vor allem durch eine sorgfältige Bildgestaltung imponiert; gerade bei den Innenaufnahmen hat Gero Steffen, der oft mit Zahavi zusammenarbeitet, für ein faszinierendes Licht gesorgt. Auch die Musik (Jörg Lemberg) ist interessant, und erneut sorgt der Schnitt für viel Dynamik. Aber gerade die Karow-Ebene ist ziemlich undurchsichtig, erst recht, falls man "Das Muli" nicht gesehen hat; selbst wenn es gerade beim Krimi durchaus ein Qualitätsmerkmal ist, dass sich eine Handlung nicht auf Anhieb durchschauen lässt. Trotzdem lässt sich erahnen, wer der Maulwurf ist, den Karow in den eigenen Reihen wähnt.