Berlin (epd)309 mal Ja, Applaus, ein Jubelschrei: Bei der Abstimmung über ein neues Sterbehilfegesetz kam es am Freitag zu einer Überraschung im Bundestag. Bereits im ersten Durchgang setzte sich das Verbot organisierter Hilfe beim Suizid klar durch. Dieses Ergebnis war unwahrscheinlich - immerhin mussten drei andere Vorschläge plus die Gegner eines jedweden Gesetzes überstimmt werden. Dass dies so eindeutig gelang, sei ein klares Signal an Sterbehilfe-Organisationen wie der des ehemaligen Hamburger Justizsenators Roger Kusch, freute sich nach der Abstimmung die SPD-Abgeordnete Kerstin Griese.
Kuschs Aktivitäten sind künftig mit Strafe belegt, so jedenfalls will es das neue Gesetz, das eine Gruppe um Griese und Michael Brand (CDU) eingebracht hatte. Nach den 309 Stimmen in zweiter Lesung erhielt es 360 in der Schlussabstimmung und kann damit inkraft treten.
Bis zu drei Jahre Gefängnis
Der neue Strafrechtsparagraf ahndet die geschäftsmäßige, das heißt auf Wiederholung angelegte Suizidhilfe durch Organisationen und Einzelpersonen. Bis zu drei Jahre Gefängnis stehen künftig darauf. Gewissensentscheidungen im Einzelfall sollen nicht sanktioniert werden, weder bei Angehörigen, noch bei Ärzten.
Der Entwurf hatte seit Beginn der Debatte, die das Parlament mehr als ein Jahr beschäftigte, am meisten Unterstützer. Rund 270 Abgeordnete hatten ihn bereits vor Freitag unterzeichnet, darunter auch Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und weite Teile ihres Kabinetts. In der Debatte warben Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU) und Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles (SPD) für den "Weg der Mitte", der in der Gesamtschau der Entwürfe zwischen einem Komplettverbot jeder Suizidhilfe und einer ausdrücklichen Erlaubnis dieser Form der Sterbehilfe angesiedelt war. Auch Kirchen und die Bundesärztekammer unterstützten diesen Entwurf.
Juristisch war das Gesetz eine Herausforderung - und blieb bis zum Ende umstritten. Die Hilfe bei der Selbsttötung ist in Deutschland wie der Suizid selbst nicht verboten. Das nutzten Sterbehilfe-Vereine aus. Sterbewilligen werden todbringende Medikamente überlassen, die sie selbst einnehmen müssen. Andernfalls wäre es die strafbewährte Tötung auf Verlangen.
Fronten verhärtet
Ein Verbot der kommerziell ausgerichteten Sterbehilfe war unter Politikern noch nicht einmal umstritten. Kritiker der strafrechtlichen Verschärfung befürchteten aber, dass das Verbot jeder organisierten Suizidassistenz nun auch Ärzten, die Todkranke auf dem letzten Lebensweg begleiten, mit Sanktionen droht.
Peter Hintze (CDU) und Karl Lauterbach (SPD) wollten ihnen die Beihilfe deswegen ausdrücklich erlauben und auf diesem Weg Kusch & Co überflüssig machen. Renate Künast (Grüne) forderte eine Erlaubnis nicht-kommerzieller Organisationen. In den vergangenen Tagen verhärteten sich die Fronten. Gegenseitig warfen sich Gruppen der Sterbehilfegegner und -befürworter mangelnden Respekt und verdrehte Darstellungen vor.
Am Freitag jedoch gewann die Auseinandersetzung ihre Ernsthaftigkeit zurück. Sensibel und sachlich warben die Abgeordneten in einer mehr als dreistündigen Debatte für ihre jeweiligen Positionen. Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU) lobte die "eindrucksvolle" Beratung, die in der Regel ohne Polemik ausgekommen sei.
Thema Sterben "aus der Tabuzone geholt"
Den Vorwurf der Kriminalisierung von Ärzten versuchten die Unterstützer des Griese/Brand-Antrags dort zu entkräften. Halina Wawzyniak (Linke) gab ein Beispiel: Ein Arzt, der seinem Patienten über das Wochenende eine Morphiumpumpe überlässt, mit der er selbst das Schmerzmittel dosieren, vielleicht überdosieren kann, mache sich auch künftig nicht strafbar. "Er verfolgt nicht die Absicht, jemandem beim Töten zu helfen", sagte sie. Letztlich muss sich das Gesetz jetzt in der Praxis erweisen.
Einen weiteren Gewinn der Debatte sah am Freitag der Abgeordnete Brand außerdem: Das Thema Sterben sei "ein gutes Stück aus der Tabuzone geholt worden". Dass Sterbehilfe-Vereine aus der legalen Zone geholt wurden, begrüßte indes auch die Deutsche Stiftung Patientenschutz. "Damit wird der Tod aus den Gelben Seiten Vergangenheit", sagte Vorstand Eugen Brysch.