In dritter Lesung stimmten am Freitag im Bundestag 360 Abgeordnete für einen Gesetzentwurf, der die geschäftsmäßige Suizidbeihilfe unter Strafe stellt. 233 Parlamentarier lehnten das Gesetz ab, 9 enthielten sich. Der Antrag der Abgeordneten von Kerstin Griese (SPD) und Michael Brand (CDU) soll Sterbehilfe-Organisationen wie dem Verein Sterbehilfe Deutschland des ehemaligen Hamburger Justizsenators Roger Kusch die Grundlage entziehen.
Der Gesetzentwurf wurde überraschend bereits im ersten Durchgang von einer Mehrheit im Parlament unterstützt. Um in zweiter Lesung angenommen zu werden, musste er mehr Ja-Stimmen erhalten als die anderen Anträge zusammen plus allen Nein-Stimmen. Das galt als unwahrscheinlich. Dennoch erhielten Griese und Brand genug Unterstützung: 309 Abgeordnete stimmten für ihren Entwurf. Wie in solchen ethischen Grundsatzfragen üblich, war der Fraktionszwang aufgehoben.
Minister Gröhe: "Regelung mit Maß und Mitte"
128 Stimmen erhielt der Antrag der Gruppe von Karl Lauterbach (SPD) und Peter Hintze (CDU), die Ärzten die Hilfe beim Suizid erlauben wollten. 52 Stimmen entfielen auf den liberalsten Entwurf von Renate Künast, die nicht nur Ärzten, sondern auch Organisationen diese Form der Sterbehilfe ausdrücklich erlauben wollte. Das von Patrick Sensburg (CDU) angestrebte Verbot jeglicher Suizidbeihilfe erhielt 37 Stimmen. 70 Parlamentarier stimmten im ersten Durchgang mit Nein zu allen Vorschlägen, 3 enthielten sich.
Der Abstimmung war eine mehr als dreistündige, ernsthafte Debatte vorausgegangen, in der Befürworter und Gegner der Sterbehilfe nochmals für ihre Positionen warben. Die Gruppen um Hintze und Künast erneuerten dabei ihren Vorwurf, das Gesetz zum Verbot organisierter Suizidbeihilfe treffe nicht nur Organisationen, sondern könne auch Ärzte kriminalisieren.
Wenn Ärzte Strafe für eine auf Wiederholung angelegte Suizidbeihilfe fürchten müssten, sei ein offenes und ehrliches Gespräch für den Patienten nicht mehr möglich, sagte Künast. Unterstützer der Griese/Brand-Gruppe wiesen diesen Vorwurf jedoch vehement zurück. So sprach Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU) von einer "Regelung mit Maß und Mitte". Beihilfe zum Suizid sei keine Behandlungsvariante, sagte der Minister.
Die Gegner eines strafrechtlichen Verbots argumentierten mit der Selbstbestimmung des Menschen. "Der Kern der Menschenwürde ist die Selbstbestimmung", sagte Bundestagsvizepräsident Hintze: "In der größten existenziellen Not eines Menschen sollte sich der Staat zurückhalten."
Für das Verbot organisierter Sterbehilfe wird ein Paragraf im Strafgesetzbuch ergänzt. Er ahndet die grundsätzlich straffreie Suizidbeihilfe, wenn sie geschäftsmäßig, also auf Wiederholung angelegt, angeboten wird.
Verein Sterbehilfe Deutschland kündigte Verfassungsbeschwerde an
Evangelische und katholische Kirche werteten den Gesetzesbeschluss als "Entscheidung für das Leben und für ein Sterben in Würde". Die Abgeordneten hätten ein "starkes Zeichen für den Lebensschutz und damit für die Zukunft unserer Gesellschaft und ihren Zusammenhalt gesetzt", heißt es in einer gemeinsamen Erklärung der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), der katholischen Deutschen Bischofskonferenz und des Zentralkomitees der deutschen Katholiken (ZdK).
"Das neue Gesetz schützt schwer kranke und ältere Menschen vor einem zunehmenden sozialen Druck, vorzeitig aus dem Leben zu scheiden", lobten der EKD-Ratsvorsitzende Heinrich Bedford-Strohm, der Bischofskonferenz-Vorsitzende Kardinal Reinhard Marx, die EKD-Synodenpräses Irmgard Schwaetzer und ZdK-Präsident Alois Glück. Auch Ärzte und Pflegekräfte würden vor der Erwartung geschützt, Suizidhilfe zu leisten.
Der Vorstand der Deutschen Stiftung Patientenschutz, Eugen Brysch, sprach von einer "klaren und weisen Entscheidung" des Parlaments. "Der organisierten Suizidbeihilfe wird das Handwerk gelegt, die Hilfe zum Suizid im Einzelfall bleibt weiterhin straffrei", sagte er.
Unmittelbar nach dem Beschluss kündigte der Verein Sterbehilfe Deutschland eine Verfassungsbeschwerde an. Marie-Claire Stellmann, Leiterin der Geschäftsstelle des Vereins, sagte dem Evangelischen Pressedienst (epd), sobald das Gesetz in Kraft tritt, werde der Verein zunächst aber keine Suizidbegleitung mehr anbieten: "Wir werden gesetzestreu handeln."