epd-bild/Juergen Blume
Der Berliner Altbischof Wolfgang Huber.
Theologe Huber: Verfügung über den eigenen Tod ist Illusion
Am Freitag stimmt der Bundestag über eine mögliche Neuregelung der Beihilfe zum Suizid ab. Der frühere Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland Wolfgang Huber spricht sich klar für ein Verbot organisierter Hilfe bei der Selbsttötung aus, um Sterbehilfe-Vereinen die Grundlage zu entziehen.
05.11.2015
epd
Corinna Buschow (epd-Gespräch)

Altbischof Huber, in der nächsten Woche entscheidet der Bundestag über eine mögliche Neuregelung der Beihilfe zum Suizid. Sie sprechen sich für ein Verbot organisierter Hilfe bei der Selbsttötung aus. Warum?

Wolfgang Huber: Die organisierte, geschäftsmäßige Suizidassistenz ist deshalb zu unterbinden, weil nicht der Eindruck entstehen darf, dies sei eine gesellschaftliche Normalität und damit auch ein normaler Teil ärztlicher Tätigkeit. Wir brauchen eine überzeugende Balance zwischen dem Schutz des Lebens und dem Respekt vor gewissensbestimmten Entscheidungen von Patienten, Angehörigen und Ärzten in tragischen und ausweglosen Situationen. Dem entspricht der Entwurf der Gruppe um die Abgeordneten Kerstin Griese (SPD) und Michael Brand (CDU). Andere, darunter die Gruppe um Peter Hintze (CDU) und Karl Lauterbach (SPD), wollen genau das Gegenteil: Sie fordern eine Legitimation des ärztlich assistierten Suizids und einen verbrieften Anspruch darauf. Davon würde ein verheerendes Signal an die Gesellschaft ausgehen.

Welches?

Huber: Darin käme zum Ausdruck, dass die Selbsttötung zu einem selbst gewählten Zeitpunkt fraglos zur Selbstbestimmung des Menschen gehört. Man würde den Todeswunsch nicht mehr als einen Hilferuf verstehen, aus dem sich die Aufgabe ergibt, situationsadäquat zu helfen. Die Unterscheidung zwischen einer Hilfe beim Sterben und einer Beihilfe zum Suizid würde nivelliert. Der Vorrang des Lebens vor dem Tod würde ignoriert.

Selbstbestimmung ist das zentrale Argument derjenigen, die Suizidassistenz ausdrücklich erlauben wollen. Ist das nicht ein hohes Gut?

Huber: Selbstbestimmung ist ein wichtiges Grundrecht. Sie erschöpft sich aber nicht im "selbstbestimmten Sterben", also in der Verfügung über den eigenen Tod. Selbstbestimmung als Verfügung über Leben und Tod zu verstehen, ist zudem eine Illusion. Keiner von uns hat selbst bestimmt, ob, wann und wo er auf die Welt kommt - zum Beispiel in Syrien oder Deutschland, was ein himmelweiter Unterschied ist, wie wir in diesen Tagen sehen. Auch wer sich wünscht, im Falle schwerer Krankheit seinem Leben selbst ein Ende zu setzen, hat damit noch keine Verfügungsgewalt über seinen Tod. Von einem Tag auf den andern kann mein Leben zu Ende gehen. Zu Leben und Sterben gehört ein Element der Unverfügbarkeit, daran ändert auch die Berufung auf die Selbstbestimmung nichts. Sie ist eine Selbstbestimmung im Leben, nicht eine Selbstbestimmung zum Leben - oder zum Tod.

"Die richtige Antwort ist eine Medizin mit menschlichem Maß"

Sterbehilfe-Befürworter werfen der Gruppe Griese/Brand vor, mit ihrem angestrebten Verbot organisierter Suizidassistenz den Staatsanwalt an quasi jedes Bett Schwerstkranker zu holen. Ist das ein Problem?

Huber: Der Vorwurf ist unsachgemäß. Die Gruppe will die Rechtslage nicht verschärfen für Ärzte, die in konkreten Situationen Hilfe leisten, auch wenn diese in tragischen Ausnahmefällen bis hin zur Suizidassistenz gehen mag. Juristische Sachverständige versichern, dass der Entwurf die von seinen Gegnern behauptete Folge nicht hätte. Es gibt einen klaren juristischen Unterschied zwischen einer Entscheidung des Arztes im konkreten Einzelfall, auch wenn ein bestimmter Arzt mit einem solchen Einzelfall mehr als nur einmal konfrontiert ist, und der auf Wiederholung angelegten, öffentlich propagierten Suizidassistenz insbesondere von Organisationen.

Sehen Sie in der Gesellschaft eine Nachfrage nach der "Dienstleistung Suizidassistenz"?

Huber: Viele Menschen wollen sich zumindest diese Option offen halten. Deswegen muss man sich sorgfältig deren Beweggründe anschauen. Da gibt es zum einen die Angst vor dem einsamen Sterben, vor langem Kranksein ohne Beistand. Die Gesellschaft darf nicht zulassen, dass so viele Menschen einsam sterben. Hier spielt auch die Kirche eine zentrale Rolle. Der andere Grund ist die Angst davor, dass die Maximalmedizin so eingesetzt wird, dass sie das Leben selbst dann noch verlängert, wenn medizinisch die Fortsetzung von Therapien gar nicht mehr indiziert ist. Auf diese Angst muss ein ärztliches Handeln antworten, das zur rechten Zeit den Übergang vom Versuch des Heilens auf den palliativen Beistand im Sterben vollzieht. Eine solche Haltung als fester Bestandteil des ärztlichen Ethos ist die wichtigste Antwort auf die Suiziddebatte.

Über die Rolle von Ärzten wird derzeit sehr viel debattiert. Vor allem geht es dabei aber um die Frage, ob Suizidassistenz für Ärzte zulässig sein kann oder nicht. Greift diese Debatte zu kurz, weil sie die medizinische Behandlung am Lebensende außen vor lässt?

Huber: Auch über Therapien am Lebensende wird debattiert. Es wäre nicht fair, der Ärzteschaft ein Schweigen über dieses Thema vorzuwerfen. Die Diskussionen sind aber leider oft voneinander getrennt; dabei kommt es gerade auf ihren inneren Zusammenhang an. In anderen Ländern beschäftigt man sich intensiver mit dem Phänomen der "therapeutischen Übertreibung". Ein großer Anteil der Gesundheitskosten fällt im letzten Lebensjahr, bei Krebserkrankungen sogar in den letzten vier Monaten an. Oft stellt sich die Frage, ob die Behandlungen in dieser Phase medizinisch angemessen und menschengerecht sind. Es ist paradox, dass manchmal unter Berufung auf den Wunsch von Patienten oder Angehörigen am Lebensende nichts unversucht bleiben soll und zugleich die Angst vor unnötiger Behandlung zur Forderung nach ärztlicher Suizidassistenz führt. Die richtige Antwort ist eine Medizin mit menschlichem Maß.

"Um eine Sternstunde des Parlaments handelt es sich nur dann, wenn die taktischen Manöver in den Hintergrund treten"

Oft bemüht wird in der Debatte auch dieses Argument: Erlaubt man die Hilfe zur Selbsttötung, wird auch irgendwann die Tötung auf Verlangen legal. Sehen Sie diese Gefahr auch?

Huber: Wenn Selbstbestimmung das alleinige Kriterium ist, an dem diese Frage entschieden werden soll, liegt dieses Argument nahe. In den Niederlanden und in Belgien, wo beide Formen zugelassen sind, fordern weit mehr Menschen die Tötung auf Verlangen als die Beihilfe zur Selbsttötung. Es gilt als weniger belastend, wenn der Arzt die Tatherrschaft hat. Nur wenn man mehr Kriterien als die Selbstbestimmung - insbesondere den Vorrang des Patientenwohls und die Pflicht zum Vertrauenserhalt - im Blick hat, kann man zwischen beiden Handlungsformen ethisch und rechtlich unterschieden. Würde sich die jetzige Argumentation der Befürworter ärztlicher Suizidassistenz durchsetzen, könnte man der Forderung nach einer Zulassung der Tötung auf Verlangen nicht lange Widerstand leisten.

Zum jetzigen Zeitpunkt ist noch nicht ausgemacht, ob einer der vier Entwürfe tatsächlich die erforderliche Zustimmung im Bundestag erhält. Möglich ist auch, dass es am Ende gar kein neues Gesetz gibt. Wäre das schlimm?

Huber: Ja, weil die Ohnmacht des Staates gegenüber der geschäftsmäßigen Werbung für den Suizid und den öffentlichen Angeboten einer Beihilfe zur Selbsttötung bekräftigt würde. Wenn sich der Gesetzgeber hier resigniert zurückzieht, hätten wir mit Sicherheit neue Initiativen sowie ein erweitertes Angebot von bestehenden Sterbehilfe-Organisationen zu erwarten. Das wäre in der Tat schlimm.

Debatten über ethische Grundsatzfragen gelten als "Sternstunde" des Parlaments. Wie haben Sie die politische Diskussion im aktuellen Fall wahrgenommen?

Huber: Mich hat mitunter ein Diskussionsklima gestört, in dem die Zielsetzung von bestimmten Vorschlägen verzerrt dargestellt wurde. Ein Beispiel für derartige Verzerrungen ist der Vorwurf an die Gruppe um die Abgeordneten Brand und Griese, ihr Vorschlag kriminalisiere ärztliches Handeln im Einzelfall. Ein solcher Vorwurf wird diesem Vorschlag nicht gerecht. Um eine Sternstunde des Parlaments handelt es sich nur dann, wenn die taktischen Manöver, die zur Politik gehören, in den Hintergrund treten und eine gemeinsame Suche nach dem besten Weg entsteht. Da müsste sich gegenüber dem, was wir in den vergangenen Wochen erlebt haben, am 6. November noch ein deutlicher Schritt nach vorn vollziehen.