Berlin (epd)Es wird so erbittert gerungen wie in der Asylpolitik, so hart gestritten wie in der Finanzkrise, und trotzdem ist bei der Bundestagsdebatte, die am nächsten Freitag ansteht, vieles anders. Kein Wunder, geht es immerhin um existenzielle Fragen von Tod und Sterben. Die Abgeordneten müssen abstimmen, ob organisierte Hilfe beim Suizid im wiederholten Anlauf verboten werden soll - oder ob genau das Gegenteil richtig, gar ethisch geboten ist. Einen Fraktionszwang gibt es bei der Gewissensfrage nicht, der Ausgang ist völlig offen.
Gegen teilweise viel Geld
Wiederholt hat die Politik bereits über ein Verbot der organisierten, sogenannten geschäftsmäßigen Hilfe beim Suizid diskutiert. Auslöser der Debatte war die "Sterbehilfe Deutschland" des ehemaligen Hamburger Justizsenators Roger Kusch, die - gegen teilweise viel Geld - diese Art der Sterbehilfe anbietet und damit höchst umstritten ist. Vereine wie der von Kusch arbeiten an sich legal, weil die Hilfe beim Suizid nicht verboten ist.
Das Geschäft damit stößt aber auf Abwehr. Bereits in der vergangenen Wahlperiode wurde ein Verbot angestrebt. Die Pläne der damaligen Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP), nur die kommerziell ausgerichtete Suizidhilfe zu bestrafen, gingen dem Koalitionspartner Union damals nicht weit genug. CDU und CSU wollten auch diejenigen treffen, die zwar organisiert handeln, nicht aber unbedingt Gewinn erzielen wollen.
Nach der Bundestagswahl 2013 wurde die Debatte in der großen Koalition neu aufgerollt. Kein Gesetz der Regierung sollte es geben, sondern Initiativen aus der Mitte des Parlaments. Nun liegen insgesamt fünf Entwürfe auf dem Tisch. Die Vorschläge reichen vom einem Komplettverbot der Suizidbeihilfe bis zu einer ausdrücklich festgeschriebenen Erlaubnis für Sterbehilfevereine.
Extreme in der Debatte
Der konservativste Entwurf von Patrick Sensburg (CDU) und der liberalste von Renate Künast (Grüne) und Petra Sitte (Linke) spiegeln diese beiden Extreme in der Debatte, die wahrscheinlich wenig Aussicht auf Erfolg haben. Ein Antrag von Katja Keul (Grüne) plädiert indes dafür, gar nichts an der Rechtslage zu ändern.
Als "Weg der Mitte" bewerben Kerstin Griese (SPD) und Michael Brand (CDU) ihren Entwurf, der jede geschäftsmäßige Suizidbeihilfe von Organisationen und Einzelpersonen mit bis zu drei Jahren Haft bestrafen will. Umfasst wären damit sowohl der Verein von Kusch und ähnliche Organisationen als auch Ärzte, die Hilfe beim Suizid öffentlich anbieten und wiederholt vollziehen.
Peter Hintze (CDU) und Karl Lauterbach (SPD) wollen dagegen Ärzten diese Form der Sterbehilfe ausdrücklich erlauben. Sie müssen dafür das ärztliche Standesrecht aushebeln, das Hilfe bei der Selbsttötung in der Regel verbietet - ein auch verfassungsrechtlich heikler Punkt. Dennoch finden sich hinter dieser Gruppe viele Unterstützer aus dem Parlament. Die meisten sammelte aber bislang die Gruppe um Griese und Brand. Ihren Entwurf unterstützen rund 270 Abgeordnete. Darunter sind weite Teile des Bundeskabinetts inklusive Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU), die den Antrag am Dienstag formell unterzeichnen wollte.
Aufgehobener Fraktionszwang
Der Ton in der Sterbehilfe-Debatte ist zuletzt rauer geworden. Während Hintze und Lauterbach der bislang erfolgversprechendsten Gruppe vorwerfen, Ärzte kriminalisieren zu wollen, kritisieren Griese und Brand, eine ausdrückliche Erlaubnis des ärztlich assistierten Suizids würde Alte und Todkranke unter Druck setzen, dieses "Angebot" auch anzunehmen. Der Vorwurf, Ärzte würden kriminalisiert, sei falsch, betonte Brand.
Eine eindeutige Mehrheit ist bislang für keinen Entwurf absehbar. Lauterbach und Hintze sowie Künast vereinen gemeinsam rund 180 Sympathisanten. Für die Abstimmung ist ein Stimmzettelverfahren in mehreren Durchgängen geplant, bei dem nach und nach die Entwürfe mit den wenigsten Stimmen herausfallen. Überwiegen selbst im dritten Wahlgang die Nein-Stimmen gegen den einzig übrig gebliebenen Antrag, gibt es gar keine Neuregelung. Für dieses Nein wirbt inzwischen nicht mehr nur Katja Keul, sondern auch die Gruppen um Lauterbach, Hintze und Künast. Ihr gemeinsames Ziel: Ein Verbot verhindern.
Kurz vor der Abstimmung schalteten sich die Fraktionsvorsitzenden Volker Kauder (CDU), Thomas Oppermann (SPD) und Katrin Göring-Eckardt (Grüne) in die Debatte ein. In einem am Dienstag veröffentlichten Schreiben werben sie als Abgeordnete für den Griese/Brand-Entwurf. Bei den Gegnern sorgte das aufgrund des aufgehobenen Fraktionszwangs für Empörung. Oppermann sah die Kritik angesichts der Bedeutung des Themas gelassen: Er werfe sein politisches Gewicht in die Waagschale. Das sei völlig in Ordnung.