Wie lange ein Mensch auf den Tod warten muss, ist beim Verein Sterbehilfe Deutschland vertraglich festgelegt. Bei einer Vollmitgliedschaft müssen jedes Jahr 200 Euro auf das Konto des Vereins überwiesen werden, dann beträgt die Wartezeit bis zum Tod drei Jahre. Wer 2000 Euro auf einmal zahlt, bekommt die Hilfe zum Suizid nach einem Jahr und wer 7000 Euro überweist, muss nicht länger auf das Sterben warten.
Als Frank Plasberg in seiner Sendung "hart aber fair" zum Thema Sterbehilfe den Vertrag präsentiert, ist die offene Kalkulation mit dem Tod für die meisten Gäste schwer zu ertragen. Einzig Roger Kusch sitzt gelassen da. Der Jurist ist der Gründer des Sterbehilfevereins und muss sich in der Sendung vorwerfen lassen, ein Geschäft mit dem Tod zu machen. "Ich verdiene keinen Euro an Sterbehilfe", beteuert Kusch dagegen. Doch es ist nicht der einzige Vorwurf, den sich der ehemalige Hamburger Justizsenator gefallen lassen muss.
Während es in der Debatte um Sterbehilfe meistens um Fälle sterbenskranker Menschen geht, hat sein Verein auch für Menschen den Suizid organisiert, die Angst vorm Altern haben und unter Einsamkeit leiden. "Wir zwingen niemanden zum Weiterleben", erklärt Kusch und ergänzt: "Unser Hauptkriterium ist nicht Mitleid. Nur einzelne Menschen können Mitleid haben, nicht aber ein Verein." Doch in der Realität kann er sich nicht immer hinter den Vereinsstatuten verstecken. Die Hamburger Staatsanwaltschaft wirft ihm und einem Mediziner Totschlag vor, weil sie zwei ältere Frauen nicht über Alternativen zum Selbstmord aufgeklärt hätten. Noch hat das Gericht den Fall jedoch nicht aufgegriffen.
"Assistierter Suizid soll nicht zum Normalfall werden"
Dafür wird in der Politik nicht zuletzt wegen seines Vereins über die Sterbehilfe debattiert – am Freitag soll im Bundestag ein Gesetz dazu beschlossen werden. "Ich finde es unanständig, Geschäfte mit dem Tod zu machen", kritisiert Kerstin Griese, SPD-Bundestagsabgeordnete und Mitglied der EKD-Synode. Gemeinsam mit einer Gruppe um den CDU-Politiker Michael Brand hat sie einen Gesetzentwurf erarbeitet, der ein Verbot organisierter Hilfe beim Suizid durch Vereine und Einzelpersonen vorsieht, wenn dieser "geschäftsmäßig" – das heißt wiederholt und mit Absicht – erfolgt.
"Ich möchte nicht, dass der ärztlich assistierte Suizid zum Normalfall wird. Menschen sollen sich nicht verteidigen müssen, wenn sie leben wollen", erklärt Griese ihren Gesetzentwurf. Trotzdem betont sie, dass auch damit ein Suizid und die Beihilfe dazu – wie auch jetzt schon – legal bleiben soll. Allerdings soll das Gesetz Vereinen wie der Sterbehilfe Deutschland die rechtliche Grundlage entziehen.
"Was Herr Kusch tut, ist mir nicht sympathisch. Wir müssen eine Alternative schaffen", sagt auch Grieses Parteikollege Karl Lauterbach. Allerdings sieht der Gesetzentwurf, den er mitentwickelt hat und der am Freitag ebenfalls zur Diskussion steht, einen ganz anderen Weg vor. Statt eines Verbots soll ärztliche Suizidbeihilfe aus dem rechtlichen Graubereich geholt und unter bestimmten Voraussetzungen legalisiert werden. Damit würde das Gesetz das in zehn von 17 Ärztekammern geltende Verbot außer Kraft setzen. "Am Patientenbett, wo es um die intimsten Wünsche eines Menschen geht, soll Strafrecht keine Rolle spielen", sagt Lauterbach. "Meine Sorge bei Lauterbachs Gesetz ist, das ärztlich assistierter Suizid zur normalen ärztlichen Handlung wird. Es ist jedoch eine ethische Einzelfallentscheidung, die man nicht ins Gesetz schreiben kann", hält Griese dagegen.
Respektvolle Diskussion
Dass die Frage nach dem richtigen Umgang mit der Sterbehilfe nicht nur Parteikollegen wie Griese und Lauterbach entzweit, sondern auch Fachkollegen, erzählt die Palliativmedizinerin Susanne Riha. Über 50 Prozent der Palliativmediziner lehnten den assistierten Suizid ab, der Rest sei dafür: "Wir wollen die Individualisierung des Sterbens erhalten", erklärte sie. Es könne nicht sein, dass Einsamkeit zum akzeptierten Grund für den Freitod sei, kritisiert die Ärztin.
Ähnlich sieht es auch der frühere EKD-Ratsvorsitzende Nikolaus Schneider: "Ich möchte nicht, dass der assistierte Suizid eine normale Behandlungsmöglichkeit des Arztes ist." Stattdessen müsse er – wie es heute der Fall sei – eine Ausnahme bleiben. "In gewissen Fällen müssen wir Schritte gehen, die als Norm nicht erlaubt sind, in Grenzfällen aber schon", ergänzt er. Seine Frau Anne, die auch Gast in der Sendung war, sieht das anders. Jeder Mensch solle das Recht haben zu sagen, dass es reicht. "Dann muss es allerdings auch eine rechtliche Sicherheit für Ärzte geben", fordert Anne Schneider.
Die Diskussion und auch die verschiedenen Antworten auf die Fragen begleitet dass Ehepaar schon seit 15 Jahren, erzählen die beiden bei Plasberg. Im letzten Jahr wurde die Frage aber konkret, als Anne Schneider an Krebs erkrankte und von den Ärzten keine gute Prognose erhielt. Ihr Mann Nikolaus gab ihr das Versprechen sie auch entgegen seiner politischen und theologischen Überzeugung in ihren Entscheidungen zu unterstützen. Anschaulich und berührend zeigte das Paar bei "Hart aber fair", wie man in der Sache uneins sein, sich aber dennoch in der Diskussion mit Respekt und auf Augenhöhe begegnen kann.
Vor dieser Herausforderung steht nun am Freitag auch der Bundestag. Dass es keine einfache Lösung gibt, hat die Diskussion bei Plasberg gezeigt – zu unterschiedlich, zu individuell sind die Vorstellungen davon, wie das Ende des Lebens aussehen soll und was die Würde des Menschen am ehesten bewahrt. Und unabhängig davon, welcher Gesetzentwurf am 6. November beschlossen wird: Danach wird es darauf ankommen wie die Gesellschaft, wie Ärzte, Patienten, Angehörige und auch die Gerichte das Gesetz mit Leben füllen werden.