Sindelfingen, Erlangen (epd)Herr Meier hat vergessen, seinen Apfel zu schneiden. Kein Wunder, er ist ja auch in ein Gespräch vertieft: "Ich bin mit den Übungen bis jetzt sehr zufrieden. Und ich komme auch immer gerne hierhin." Der Apfel ist das erste, was er heute vergisst. Ein gutes Ergebnis. Denn mit dem Erinnern hat Meier, der eigentlich anders heißt, so seine Probleme. Er hat eine Demenz in einem relativ frühen Stadium. Die Übungen, die der 72-Jährige zu machen hat, sind Teil eines Projektes, das zum Ziel hat, Betroffene länger geistig fit zu halten.
Selbstständig erhalten
Dass Herr Meier sich noch viele Dinge merken kann und manchmal auch verloren geglaubte wiederentdeckt, liegt daran, dass er an einem speziellen Förderprogramm der Uni Erlangen teilnimmt. Die dortigen Psychologen arbeiten an einer Studie mit dem Namen "DeTaMAKS". Die Abkürzung steht für "Demenz in der Tagespflege - motorische, alltagspraktische und kognitive Aktivierung mit sozialer Einstimmung auf die Gruppe."
Es geht bei dieser Initiative darum, Menschen mit einer Demenzerkrankung über einen längeren Zeitraum selbstständig zu halten. So könnten sie dann auch länger bei ihren Angehörigen bleiben. Die Förderung der Menschen geschieht in Gruppen von zehn bis zwölf Personen in Tagespflegeeinrichtungen - und zwar ohne Medikamente, sondern mittels einer Reihe von Übungen. Keine davon ist für sich genommen neu oder bahnbrechend. Aber sie sind so eng aufeinander abgestimmt, wie es das bislang in der Förderung von Menschen mit Demenz noch nicht gegeben hat, betonen die Forscher.
Was das bedeutet, sieht man, wenn Marita Mack den Wochenplan herausholt. Sie ist Teamleiterin der ökumenisch geführten Tagespflege in Sindelfingen, in die Herr Meier geht - einer von 34 bundesweit Einrichtungen, die an dem Modellprojekt teilnehmen.
Laut Plan sind beispielsweise an einem gewöhnlichen Montag exakt 30 Minuten für Übungen vorgesehen, in denen die Beweglichkeit der Menschen geschult wird, 20 Minuten für Denkübungen und 40 Minuten für alltagspraktische Übungen. Die Menschen werden gefördert mit Hilfe eines exakt vorgegebenen Gerüstes, dessen Übungen sich immer wieder wiederholen. "Menschen mit Demenz brauchen Struktur und Rituale. Das hilft ihnen sehr", sagt Mack.
In der Gruppe Geborgenheit fühlen
"Wir müssen sehen: Wie gut können wir die Krankheit aufhalten? Das ist das therapeutische Ziel", erläutert Elmar Gräßel vom Zentrum für Medizinische Versorgungsforschung der Universität Erlangen, der das Programm mitentwickelt hat. Das funktioniere zwar nur bis zu einem gewissen Punkt, denn eine Heilung sei bei Demenzerkrankungen zurzeit generell nicht möglich. Aber je länger die Selbstständigkeit der Menschen erhalten bliebe, desto mehr profitierten davon auch ihre Angehörigen.
Denn Nutzen erhoffen sich die Forscher nicht nur für die einzelnen Menschen, sondern in einem gesamtgesellschaftlichen Zusammenhang. "Die Generation der gut ausgebildeten Frauen zwischen 40 und 60 Jahren wird in Zukunft immer weniger bereit sein wollen und können, für häusliche Pflege die Erwerbstätigkeit deutlich reduzieren oder gar aufgeben können. Wir müssen also Strukturen schaffen, damit diese verschiedenen Lebensstile miteinander verknüpfbar sind", sagt Gräßel. Er hoffe, dass DeTaMAKS dazu einen Beitrag leiste.
Ob dem so ist, wird sich frühestens in rund anderthalb Jahren herausstellen. So lange läuft das Pilotprojekt noch, erst nach Abschluss werden die Ergebnisse evaluiert, was schwer ist, weil sich der Zustand der Menschen ja auch mit der Behandlung langfristig definitiv verschlechtern wird.
Marita Mack hat aber einen guten Eindruck. "Man kann sagen, dass sich die Leute gut fühlen. In der Gruppe erleben sie Geborgenheit und Zugehörigkeit", sagt sie. Da könne man dann auch mal vergessen, einen Apfel zu schneiden.