TV-Tipp des Tages: "Silvia S. - Blinde Wut" (ZDF)
TV-Tipp des Tages: "Silvia S. - Blinde Wut", 2. November, 20.15 Uhr im Zweiten
"Blinde Wut": Das klingt nach einer Tat ohne Ziel und Vorsatz; als ob jemand bei einem Amoklauf wahllos wildfremde Menschen umbringt. Aber die Wut der weiblichen Hauptfigur von Friedemann Fromms bedrückendem Drama ist nicht ziellos, im Gegenteil: Lange Zeit richtet sich die Aggression von Silvia Schubert gegen sich selbst, doch dann erlebt sie schließlich eine Demütigung zuviel und rüstet sich mit kalter Wut zum Rachefeldzug, um es allen heimzuzahlen, die ihrer Ansicht nach daran Schuld sind, dass ihr Leben verpfuscht ist.

Fromm und Autorin Katrin Bühlig nehmen die Tat nicht vorweg, aber kurze verfremdete Zwischenspiele deuten immer wieder an, dass sich etwas Schreckliches ereignen wird. Trotzdem lässt dieses Psychogramm eines unaufhaltsamen Absturzes keinen Zweifel daran, dass die Geschichte kein gutes Ende nehmen wird; und dann nehmen die Dinge einen noch tragischeren Verlauf, als ohnehin zu befürchten war.

Beide, Autorin und Regisseur, haben mit "Silvia S." einen Fernsehfilm von außerordentlicher Qualität geschaffen, was vom Sujet abgesehen erst mal nicht weiter überrascht: Fromm, der seine Drehbücher sonst meist selbst schreibt, ist einer der interessantesten deutschen TV-Regisseure und als Schöpfer der ZDF-Reihe "Unter Verdacht" (Grimme-Preis) ebenso ausgezeichnet worden wie für den historischen Mehrteiler "Die Wölfe" oder die Serie "Weissensee". Bühlig ist für ihr "Bella Block"-Drehbuch "Weiße Nächte" (2007) mit dem Deutschen Fernsehpreis geehrt worden und hat für "Restrisiko" den Grimme-Preis bekommen. Das war allerdings ein Dokumentarfilm, was wiederum erklärt, warum "Silvia S." wie eine Fallstudie wirkt. Natürlich ist der Film kein Krimi, aber wie in einem Krimi suchen Fromm und Bühlig im Leben ihrer Hauptfigur nach Hinweisen und Spuren, die das blutige Finale erklären.

Geschickt lenkt Fromms Inszenierung den Blick auf kleine Irritationen, ohne diese Details allzu sehr in den Vordergrund zu rücken. Auf diese Weise vermittelt er von Anfang an die subjektive Isoliertheit Silvias (Maria Simon): Die anderen haben Spaß, etwa beim Geburtstagsfest ihrer Tochter Laura, aber sie fühlt sich ausgeschlossen. Dass sich dieses Gefühl zunehmend manifestiert, ist auch eine Frage der optischen Auflösung: Aus Silvias Sicht bilden ihr Mann Andreas (Florian Lukas), der auf ihren Niedergang vor allem mit Hilflosigkeit reagiert, und das Mädchen eine Einheit. Dabei scheint die Familie von außen betrachtet glücklich. Hinter der intakten Fassade gibt es jedoch eine tiefe Verletztheit, die auch Andreas nicht wahrnimmt. Der Film verdeutlicht dies durch Silvias ständiges zwanghaftes Kratzen, das schließlich großflächige blutige Wunden verursacht.

Die kluge Konstruktion des Drehbuchs zeigt sich auch in den wenigen, aber wichtigen Szenen mit Silvias Angehörigen. Diese Momente wirken auf den ersten Blick nicht ungewöhnlich, aber nach und nach kristallisiert sich heraus, wie stark diese Frau bis heute darunter leidet, dass ihre Mutter (Ulrike Kriener) sie nie ernst genommen hat. Silvia betrachtet ihre Schwester Uta (Sophie von Kessel) noch heute als Konkurrentin. Beide sind Architektinnen. Uta hat die Firma des Vaters übernommen, Silvia ist Mutter geworden. Deshalb legt sie um so größeren Wert darauf, den sportlichen Wettkampf mit Uta – beide waren erfolgreiche Biathletinnen, Silvia mehrfache deutsche Meisterin – regelmäßig gewonnen zu haben. Die namhafte Besetzung von Mutter und Schwester verdeutlicht die Bedeutung dieser beiden vergleichsweise kleinen Rollen; und dass Bühlig eine eher ungewöhnliche Sportart gewählt hat, ist selbstredend auch kein Zufall.

Natürlich funktioniert so eine Geschichte nur, wenn die Hauptdarstellerin glaubwürdig ist. Trotzdem ist es vor allem Fromms Inszenierung, die vermittelt, wie fremd sich Silvia im eigenen Leben fühlt. Mehrfach zeigt der Film Silvias Wunschvorstellungen, Gesten von Liebe und Zuneigung wie etwa eine Umarmung von Andreas; aber dann steht er bloß in der Haustür und winkt ihr zum Abschied, als sie auszieht. Im Gegensatz zu diesen kleinen Momenten wirken jene Szenen, in denen Sivlia mal himmelhoch jauchzend, mal zu Tode betrübt ist, fast plakativ, aber natürlich entsprechen sie dem Krankheitsbild: Euphorisch feiert sie das komplizierte Modell eines Hotels, das sie für ihre Schwester entworfen hat. Aber Uta wollte bloß einen Vorschlag für die Gestaltung der Lobby; ihre Zurückweisung erlebt Silvia als krachende Niederlage. Als das Modell in Flammen aufgeht, ist klar, dass sie sich ihr Aggressionspotenzial nach außen kehren wird.