Aachen, Bonn (epd)Der Düsseldorfer Büroangestellte Jan D. hat seit Wochen regelmäßig Magenprobleme. Abends nach der Büroarbeit ist er oft schlecht gelaunt. Nachts liegt er wach im Bett und grübelt: "Eigentlich kenne ich die Symptome." Vor ein paar Jahren, nachdem er einen neuen Job angenommen hatte, litt D. an Burn-out. "Jetzt muss ich dringend aufpassen, damit es nicht wieder so schlimm wird". Er ist einer von Tausenden von Menschen in Deutschland, die von "PsyGA" profitieren könnten, einem Projekt, das zum Ziel hat, psychische Belastungen rechtzeitig zu erkennen.
PsyGA steht für "Psychische Gesundheit am Arbeitsplatz" und will darüber informieren, wie sich Beschäftigte vor zu viel Stress schützen und Belastungen entgegenwirken können. Entstanden ist es im Rahmen der Initiative "Neue Qualität der Arbeit" des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales in Zusammenarbeit mit dem Dachverband der Betriebskrankenkassen (BKK).
Stressoren und Ressourcen
"Es geht darum, Belastungsfaktoren zu identifizieren", sagt Jessica Lang, Professorin für Betriebliche Gesundheitspsychologie am Institut für Arbeitsmedizin der Uniklinik RWTH Aachen. Sie hat für das Projekt ein eLearning-Tool entwickelt, das im Internet abgerufen werden kann. Anhand eines Fragenkataloges analysiert das Programm die individuellen Be- und Entlastungsfaktoren des Probanden, die sogenannten Stressoren und Ressourcen.
"Solange es mehr Ressourcen als Stressoren gibt oder das Verhältnis zumindest ausgeglichen wird, trägt das zur psychischen Gesundheit bei", erläutert Lang. Kippe das Verhältnis, könne sich langfristig daraus eine psychische Erkrankung ergeben. Unter den Ressourcen verbucht sie etwa die Vielfältigkeit der Aufgabe, den Handlungsspielraum, eine klare Zuständigkeit, gute Arbeitsmittel, die Möglichkeit zur Fortbildung sowie ein nettes Kollegium. Stressoren könnten dagegen eine Über- oder Unterforderung, eine ständige Erreichbarkeit auch zu Hause, Zeitdruck sowie ein schlechter Umgang mit den Kollegen sein.
"Am Ende erstellt das Tool eine individuelle Bilanz und gibt Handlungsempfehlungen", berichtet Lang. So könne das Programm zum Beispiel dazu raten, das Gespräch mit einer Führungskraft zu suchen, und den Arbeitnehmer mit konkreten Tipps und Beispielen auf ein solches Gespräch vorbereiten. Eine andere Empfehlung seien etwa Entspannungstechniken. Dabei könne das Tool auch ermitteln, welche Methode dem Betroffenen besonders liegen könnte: "Insgesamt dauert das Ganze etwa 45 Minuten."
Immer mehr Frühverrentungen
Krankschreibungen wegen psychischer Leiden haben laut dem aktuellen DAK-Psychoreport ein Rekordhoch erreicht. Seelenleiden lagen 2014 erstmals auf dem zweiten Platz der Krankheitsarten. 1,9 Millionen Berufstätige waren mit psychischen Problemen krankgeschrieben. Das ist umgerechnet jeder 20. Arbeitnehmer.
Psychische Erkrankungen verursachten demnach 6,3 Millionen Fehltage. Mit 112 Fehltagen je 100 Versicherten waren an erster Stelle Depressionen für den Arbeitsausfall verantwortlich, an zweiter Stelle folgten sogenannte Anpassungsstörungen mit 42 Fehltagen je 100 Versicherten. Darunter verstehen Experten die psychische Reaktionen auf Dauerstress, die zu seelischen oder körperlichen Erkrankungen führen.
Seelische Beschwerden seien auch die häufigste Ursache für Frühverrentungen, sagt Projektkoordinator Peter Krauss-Hoffmann von der Abteilung Arbeitsschutz des Bundesarbeitsministeriums in Bonn: "Das Durchschnittsalter liegt bei 45 bis 48 Jahren." Auch hier hat es eine deutliche Zunahme gegeben: Von 15 Prozent im Jahr 1993 auf fast 43 Prozent 2013.
Wandel der Arbeitswelt
Krauss-Hoffmann verweist auf den deutlichen Wandel der Arbeit, der mit Verdichtung und Restrukturierung einhergeht. Umso wichtiger sei es, dass sich auch in den Führungsetagen das Bewusstsein durchsetze, dass Unternehmen in gesunde Arbeit investieren und eine Unternehmenskultur schaffen müssten, in der psychische Erkrankungen nicht stigmatisiert würden, so Krauss-Hoffmann.
Jan D. will das eLearning-Tool nutzen. "Ich finde es gut, dass es so etwas gibt, damit offener über dieses Thema gesprochen wird. Vielleicht lässt sich so der eine oder andere Burn-out verhindern."