Deutschland
Braunschweig (epd)Noch vor ein paar Monaten hat der 29-jährige Maher Krait als Sozialarbeiter Hilfspakete an Vertriebene in Syrien verteilt. Heute ist er, im fast 4.000 Kilometer entfernten Braunschweig, selbst ein Flüchtling. "Ich weiß jetzt zu 100 Prozent, wie die Menschen sich gefühlt haben", sagt der Syrer mit ernstem Blick. Vor wenigen Wochen hat er seine Heimat verlassen, seine Frau und seine fünf Monate alte Tochter blieben zunächst zurück.
Ständige Angst
Der studierte Wirtschaftswissenschaftler hat anderthalb Jahre als Sozialarbeiter für die katholische Hilfsorganisation Caritas in Damaskus gearbeitet. Er verteilte Lebensmittel und Hygienepakete oder half in einem medizinischen Zentrum. Aber die Lage wurde immer bedrohlicher: "Wir mussten uns oft vor Mörsergranaten verstecken."
Eine Bombe verfehlt den Sozialarbeiter nur um 50 Meter. "Du weißt nicht, wo sie hochgehen", beschreibt er die ständige Angst. Über Facebook informiert er sich täglich, ob der Weg zur Arbeit sicher ist. In dem sozialen Netzwerk verbreiten sich die Nachrichten von erneuten Bomben innerhalb von Sekunden. "In einer solchen Umgebung zu leben, ist ein Desaster", sagt Krait, der fließend Englisch spricht.
Schließlich entscheidet er sich zur Flucht. In Deutschland hat er Verwandte und hofft auf gute Chancen auf dem Arbeitsmarkt, seine Familie will er so schnell wie möglich nachholen. Kraits Route führt über den Libanon, die Türkei, Griechenland, Mazedonien, Serbien und Ungarn. Weil die Züge dort nicht fahren, nimmt er Taxis.
Hoffnung schwindet
Wie Krait haben rund ein Viertel der Caritas-Mitarbeiter Syrien mittlerweile verlassen, sagt Caritas-Referatsleiter Christoph Klitsch-Ott. Viele seien selbst betroffen, ihre Wohngebiete lägen unter Beschuss. Ein Mitarbeiter sei bei einem Bombenangriff bisher getötet worden. "Es ist ein Phänomen der ganzen Region: Jeder, der irgendwie kann, macht sich illegal oder legal auf den Weg." Die Suche nach qualifizierten Mitarbeitern stelle auch die Hilfsorganisationen vor Ort vor Herausforderungen.
Krait landet schließlich über Umwege in der überfüllten niedersächsischen Landesaufnahmebehörde in Braunschweig. Sein Termin für die Registrierung beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge wird auf unbestimmte Zeit verschoben. Die Hoffnung, seine Familie bald wiederzusehen, schwindet angesichts der großen Anzahl der Flüchtlinge um ihn herum. "Meine Frau und mein Kind sind jeden Tag in Gefahr."
Nur durch Zufall entdeckt der Syrer am Eingang der Einrichtung ein Plakat: Die katholische St. Mariengemeinde bietet einen Auto-Transfer zu ihrem Gottesdiensten an. Krait zögert nicht lange und meldet sich an. In der Gemeinde trifft er auf den 50-jährigen Programm-Manager Martin Maluche. Dieser entscheidet spontan, den jungen Syrer bei sich aufzunehmen und ihm zu helfen.
Asylverfahren beschleunigen
Zwei Wochen nach seiner Ankunft sitzt Krait jetzt in seinem neuen Zuhause auf Zeit: Ein Zimmer in einem Einfamilienhaus in einem Stadtteil von Braunschweig. Über das Internet kann er nun täglich seine Frau und Tochter kontaktieren. Er schöpft wieder etwas Hoffnung: "Es war ein unerwartet glücklicher Start in Deutschland", sagt er und blickt seinen Gastgeber Maluche dankend an. Gemeinsam wollen sie versuchen, das Asylverfahren zu beschleunigen.
Auch für einen Deutschkurs hat er sich schon angemeldet. Maluches Kinder helfen Krait bei den Hausaufgaben. Die Sprache sei der Schlüssel, um Arbeit zu finden, ist der junge Syrer überzeugt. Gerne würde er weiterhin Menschen helfen. "Ich weiß, was sie brauchen und wie sie sich fühlen."