Von Lumumba zu Karl Marx
Haitis bekanntester Regisseur Raoul Peck zeigt in sich in politischen Filmen als wahrer Weltbürger
Er ist der bekannteste Regisseur Haitis, und der Karibikstaat ist auch der Schauplatz seines neuen Films «Mord in Pacot». Aber Raoul Pecks Blick reicht weit darüber hinaus. Er ist ein engagierter Kosmopolit, der ein neues «Black Cinema» prägt.
02.09.2015
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Claudia Lenssen (epd)

Paris (epd)Raoul Peck wirkt wie ein Diplomat oder Wissenschaftler, als er sein Stammcafé Le Faubourg in Paris betritt. Der Regisseur aus Haiti ließ sich nach seiner Kindheit im Kongo und Studienjahren in New York, Paris und Westberlin in der französischen Hauptstadt nieder. Im 10. Arrondissement logiert auch seine Firma Velvet Film, die gerade seinen neuen Spielfilm über den jungen Karl Marx produziert.

Studium in Westberlin

1953 in Haiti geboren, verließ Peck seine Heimat mit acht Jahren. Sein Vater, ein Agronom, war unter dem Diktator François Duvalier verhaftet worden und erhielt eine Position im gerade unabhängig gewordenen Kongo. Wegen politischer Unruhen wurde Raoul Peck dann aber nach New York und Paris geschickt. In den 70er Jahren entschied er sich für ein Studium als Wirtschaftsingenieur in Westberlin, bevor er dort an die Film- und Fernsehakademie (DFFB) ging.

Warum zog es ihn wieder nach Paris? "Nach dem Mauerfall war es für mich Zeit, Deutschland zu verlassen", sagt Peck. "Frankreich war damals offener für meine politischen Projekte." So habe die Filmförderung des Bundesinnenministeriums an seinem Filmprojekt "Kemal Altun" über einen türkischen Asylbewerber, der sich 1983 das Leben nahm, den "deutschen Bezug" vermisst.

Peck ging nach Frankreich, um einen Dokumentarfilm über Patrice Lumumba zu drehen, den ersten Premier des unabhängigen Kongo, ein Hoffnungsträger, der 1961 unter Mithilfe der des US-Auslandsgeheimdienstes CIA, Belgiens und Frankreichs ermordet wurde. Gleich zwei Werke widmete er ihm: "Lumumba - der Tod des Propheten" (1991) und den Politthriller "Lumumba" (2000), seinen bislang erfolgreichsten Film.

Vertreter des "Black Cinemas"

Peck gilt als einer der prägenden Regisseure eines neuen "Black Cinema". Seine Berufswahl sieht er als politischen Akt: "Ich bin zum Kino gekommen, weil es mir ein wirkungsvolles Ausdrucksmittel für meine Überzeugungen und Erkenntnisprozesse zu sein scheint." Seit 2010 ist er Präsident der Filmhochschule La Fémis. Am Filmemachen liebt er den Umgang mit Menschen und die Beschäftigung mit der Zeitgeschichte. "Mich fasziniert die Absurdität der Existenz, die Absurdität des Alltags und bestimmter Lebensläufe", sagt er.

Sein Abschlussfilm an der DFFB, "Haitian Corner" (1988), entstand in der haitianischen Exil-Community in New York. Es war der erste Film, der außerhalb Haitis in kreolischer Sprache gedreht wurde. Joseph, ein introvertierter junger Poet und Intellektueller, überlebt als Arbeiter in einer Holzfabrik, bis der Schock seiner Haftzeit ihn einholt.

Sein Spielfilmdebüt greift bereits ein zentrales Thema seiner mehr als 20 Werke auf: Erinnern statt Verdrängen. Immer wieder kommt Peck auf die Gefühle und Bewusstseinsprozesse zurück, in denen seine Figuren zwischen Aufruhr und Einsicht taumeln. Sein Wirken sah er nie auf Haiti oder Afrika beschränkt. "Ich versuche immer, allgemeingültige, existenzielle Fragen zu stellen, die in jedem Teil der Welt emotional nachvollziehbar sind", sagt Peck.

Oft geht es um den Einbruch des staatlichen Terrors in die Binnensphären der Gefühle, der Familien-, Freundes- und Liebesbeziehungen. Aber Haiti ist immer wieder Schauplatz seiner Filme, wie "Der Mann auf dem Quai" (1993), "Moloch Tropical (2009) und den Dokumentarfilm "Tödliche Hilfe" (2013) nach dem Erdbeben von 2010. Sein Spielfilm "Mord in Pacot" (2014), der am 17. September in die deutschen Kinos kommt, erzählt von den sozialen und moralischen Verwüstungen durch das Erdbeben. 2005 thematisierte er den Völkermord 1994 in Ruanda in "Als das Morden begann".

Marx Grunderkenntnisse immer noch gültig

"Politik und Macht erzeugen Leid", sagt Peck. "Die klassische kinematografische Dramaturgie konfrontiert das Gute mit dem Bösen, ich versuche, immer auch das Humane im Bösen offenzulegen." Sein Film "Moloch Tropical" ist eine bittere Groteske über die letzten Tage eines fiktiven haitianischen Präsidenten und die Machtspiele seiner Entourage. Da erzählt ein Kenner: Peck selbst war 1996 für rund anderthalb Jahre als Kulturminister nach Port-au-Prince zurückgekehrt.

Dass er nun auf Karl Marx zurückkommt, ist kein Zufall. Derzeit entsteht ein Spielfilm über die Begegnung des jungen Marx mit Friedrich Engels 1844 in Paris. "Ich denke, das Marx Grunderkenntnisse über die Strukturen der kapitalistischen Gesellschaft immer noch gültig sind." Besonders in einer Zeit, in der die zerstörerischen Kräfte des Kapitalismus unvorstellbare Macht gewonnen hätten. Peck will Marx als Aufklärer und Gesellschaftskritiker zeigen, in einer Zeit, "in der vom doktrinären Marxismus noch keine Rede sein konnte".