Darmstadt (epd)Wenn Tommy sein Arbeitsgeschirr trägt, lässt er sich von nichts mehr ablenken. Sobald der Hund den Gurt um seine Rippen und seine Brust spürt, ist er im Arbeitsmodus. Ganz eng steht er dann bei Felicitas Küppers, Augen streng auf sie gerichtet, mit dem Rücken zur übrigen Welt. Tommy ist der Assistenzhund von Felicitas Küppers. Ohne ihn wäre die junge Frau oft verloren.
Tommy passt auf
Die 18 Jahre alte Küppers hat eine schwere Posttraumatische Belastungsstörung (PTBS). In ihrer frühen Kindheit wurde sie sexuell missbraucht. Küppers heißt eigentlich anders und ihre persönlichen Daten sind verändert, auch der Name ihres Hundes. Sie möchte anonym bleiben.
Seit Jahren leidet die junge Frau unter sogenannten dissoziativen Phasen. Sie driftet in Gedanken ab, der Horrorfilm im Kopf ist nicht mehr zu stoppen. Dann ist sie nicht mehr ansprechbar und orientierungslos. Tommy passt auf Küppers auf: Er blockiert den Weg auf die Straße, wenn sie nicht mehr auf die vorbeifahrenden Autos achten kann.
Seit neun Monaten bildet Küppers den drei Jahre alten Tommy als ihren persönlichen Assistenzhund aus. Jeden Tag muss Tommy 25 verschiedene Aufgaben üben: eine Bank finden, Straßen und Hindernisse anzeigen oder Küppers nachts aus Albträumen wecken. Unterstützung bei der Ausbildung des Hundes bekommt Küppers von Susanne Nees.
Die 50-Jährige ist Hundetrainerin beim Deutschen Assistenzhunde-Zentrum mit Hauptsitz in Berlin, deutschlandweit das größte seiner Art. Seit rund vier Jahren bildet sie Assistenzhunde aus, die PTBS-Patienten, Diabetiker oder Epileptiker unterstützen. Nees muss sehr einfühlsam sein. "Ich bekomme sehr viel von meinen Kunden mit und weiß, wie es ihnen geht", sagt sie. Das sei wichtig, um den Hund speziell auf deren Bedürfnisse hin auszubilden.
Immer wieder kommen bei Felicitas Küppers plötzlich die Flashbacks. Traumatische Erinnerungen, die die junge Frau regelrecht überrollen. Von einem Moment auf den anderen ist sie dann wie ein anderer Mensch. Sie starrt geradeaus, hat Herzrasen und atmet heftig. Sofort ist Tommy zur Stelle, winselt und zupft an ihrer Jacke. Solange, bis Küppers den Kontakt zur Umwelt wieder aufnehmen kann.
Nur manche Hunde eignen sich
Der Pudelmischling bringt die richtigen Eigenschaften für einen PTBS-Hund mit: Er ist agressionsarm, belastbar, dabei nicht zu sensibel, weil er bei Panik Ruhe bewahren muss. Nicht jeder Hund eignet sich zum Assistenzhund. Die Hundetrainerin Nees prüft das in über 70 Tests. Manche können PTBS-, wieder andere Autismus-Assistenzhunde werden - je nach Charakter. Nur einer von 100 Hunden ist als PTBS-Assistenz geeignet, als Diabetikerwarnhund sogar nur einer von 1.000.
"Nach vorn!" sagt Küppers im Training immer wieder. "Such Bank!" Dazu macht sie eine Handbewegung von ihrem Körper weg nach vorne, mit offenen Handflächen. Zügig zieht der Hund sie an der Leine und führt sie zur nächsten Bank. Tommy legt seine Schnauze auf die Sitzfläche und zeigt Küppers damit: Hier kannst du dich hinsetzen. Ist die nächstliegende Bank besetzt, sucht der Mischling solange weiter, bis er einen Platz findet. Denn wenn in Felicitas Küppers die Panik aufsteigt, hilft nur hinsetzen und ruhig atmen.
Auch das folgende Kommando muss sitzen. "Setz dich ab!" Je nachdem, wohin Küppers in dem Moment mit der Hand zeigt, sichert Tommy nach hinten, vorne oder zur Seite ab. "Damit bestimme ich den Abstand zu anderen Menschen", sagt Küppers. Selbstbestimmung, Freiheit, Selbstständigkeit - das alles erarbeitet sich die junge Frau mit der Hilfe von Tommy.
Assistenz macht müde
Die Psychologin Andrea Beetz forscht seit vielen Jahren zum Einsatz von Assistenzhunden bei einer Posttraumatischen Belastung und hat sogar einen Verein gegründet. Grundsätzlich könne ein Assistenzhund bei der psychischen Störung helfen, sagt sie. Aber nur, wenn festgestellt sei, dass die Belastungsstörung chronisch geworden sei, also bleibe. Andernfalls verfestigten sich Symptome, die mithilfe einer Therapie bearbeitet werden könnten.
Küppers macht schon lange eine Traumatherapie. Einen Assistenzhund kann sich nur derjenige anschaffen, der zu mindestens 50 Prozent behindert ist. In Küppers Schwerbehindertenpass steht eine 70. Wenn Tommy die Prüfung zum Assistenzhund demnächst besteht, darf sie ihn überall hin mitnehmen. Eine große Aufgabe für den Hund: Manchmal ist Tommy nach ein paar Stunden Assistenz richtig müde.
Um zu gewährleisten, dass Hundetrainer den Tierschutz im Blick haben, müssen sie seit 2014 einen Sachkundenachweis erbringen. Der Trainer müsse erkennen, sagt Psychologin Beetz, ob der Halter auch wirklich für den Hund sorgen könne. Manchmal geht es Küppers so schlecht, dass sie ihre Wohnung tagelang nicht verlässt. Dann kann sie sich auf Freunde oder ihre Wohngemeinschaft verlassen, die für Tommy sorgen.
Ins Leben zurück
"Tommy hat mich zurück ins Leben geholt", beschreibt Küppers den Moment, als sie den Mischling bekommen hat. Die Ausbildung zum Assistenzhund ist für das Tier ein großer Schritt, aber auch für die junge Frau: "Mit seiner Hilfe hole ich mir jetzt mein Leben wieder."